LUXUSRESIDENZ PALM BEACH
Krisenboykott im Reichenrefugium
Reich und schön - so präsentiert sich Palm Beach in Florida trotz Rezession. In dem Millionärsort geht es so pompös und selbstverliebt zu wie eh und je. Doch hinter den Kulissen brodelt es: Seit Milliardenbetrüger Madoff hier zugeschlagen hat, spürt auch das VIP-Refugium die Finanzkrise.
Palm Beach - Rezession? Welche Rezession? Jeff Cloninger hat keine Sorgen, dass ihn der Abschwung je ernsthaft einholt. "Es wird immer Leute mit Geld geben", sagt er, und seine hellblauen Augen funkeln. "Und die werden immer nach Palm Beach kommen."
Cloninger, 49, empfängt den Besucher in seinem von Licht durchfluteten Büro. Er thront hinter einem enormen Marmorschreibtisch, den er mit Muscheln und polierten Kieselsteinen dekoriert hat. An der Wand hängen Großaufnahmen von Luxusvillen: Traumhäuser unter Palmen, mit Pools, Terrassen, Tennisplätzen und Privatstränden.
Das ist Cloningers Geschäft: das Vermitteln solcher Nobelimmobilien. Und zwar nicht irgendwo, sondern in einem der exklusivsten VIP-Refugien Amerikas - Palm Beach in Florida, einer durch Brücken mit dem Festland verbundenen Millionärsexklave. "Paradise Island" nennen es die rund 10.000 Bewohner auch.
Tatsächlich ist Palm Beach eine der letzten Ecken der USA, wo die Rezession fern zu sein scheint: keine Arbeitslosigkeit, keine Armut, keine Kriminalität. Es ist die einzige Stadt im US-Bundesstaat Florida, in der jeden Tag die Mülleimer geleert und die Straßen gefegt werden. "Für mich", sagt Cloninger, der seit 15 Jahren hier wohnt, "ist dies der begehrenswerteste Ort zum Leben."
Und zum Geldverdienen - vor allem mit Immobilien. Die schmale Halbinsel - Atlantik auf der einen Seite, die Lake-Worth-Lagune auf der anderen - hat zwar nur 17 Prozent der Fläche Manhattans und nicht mal ein Prozent seiner Bevölkerung. Doch das jährliche Pro-Kopf-Einkommen fällt nach Angabe der US-Volkszählungsbehörde mit rund 110.000 Dollar mehr als doppelt so hoch aus. "Die Leute in Palm Beach stufen sich selbst danach ein, wie viel Geld sie verdienen", weiß Ortskenner Laurence Leamer. "Selbst die ärmsten Einwohner scheinen alles zu haben."
"Der letzte Ort, der die schlechten Zeiten spürt"
In den Stuckpalästen am Ocean Boulevard tummeln sich die Superreichen: Das hier residierende Vermögen wird auf insgesamt 110 Milliarden Dollar geschätzt. Inoffizielles Stadtoberhaupt ist Donald Trump, der sich einen illustren Hofstaat hält - darunter Parfummogul Ronald Lauder, Investor Ron Perelman, Diät-Witwe Veronica Atkins, Bestseller-Fabrikant James Patterson, Republikaner-Sprachrohr Rush Limbaugh, Sänger Rod Stewart und die Kennedys.
Und über Jahre wuchs Palm Beachs Immobilienmarkt auch fleißig weiter: Der Durchschnittspreis einer Villa ist seit 2004 von 2,2 Millionen Dollar auf zuletzt fast 3,9 Millionen Dollar angestiegen.
"Wir sind beschäftigt", beteuert Cloninger, die Frage nach den Folgen der Rezession gleich vorwegnehmend. "Wegen des enormen Wohlstands sind wir von den harschen wirtschaftlichen Realitäten isolierter als andere." Gelassen fügt er hinzu: "Palm Beach ist der letzte Ort, der die schlechten Zeiten spürt - und der erste, der sich wieder erholt."
Cloninger ist der beste Repräsentant für die Sonnenscheinstimmung. Sein Teint ist gut gebräunt, er trägt ein offenes Hemd, das zur Farbe seiner Augen passt. Die sockenlosen Füße stecken in Gucci-Slippern. "Wir fahren selten Auto", sagt er über seine Familie. "Wir springen aufs Boot oder in den Privatjet."
Selbst Dienstleister leben hier eben gut. Häuser werden zu 99 Prozent bar bezahlt, "Hypotheken nimmt keiner auf", sagt Cloninger - einer der Gründe, weshalb Palm Beach bisher so wenig litt. Und selbst wenn die Rezession den einen oder anderen Millionären treffe: "Die sind kaum arm, wenn das Vermögen von 400 auf 320 Millionen Dollar schrumpft. Bei McDonald's wird von denen keiner arbeiten müssen." Die Schnellimbisskette gibt es im Ort sowieso nicht.
Die "Goldküste" verliert an Glanz
Doch selbst Cloninger gibt zu, dass nicht alles glänzt an Floridas "Goldküste". Er zieht den Evans Report hervor, die Bibel der Makler dort. 2004: 298 verkaufte Einfamilienhäuser. 2008: 104 verkaufte Einfamilienhäuser - ein Minus von 65 Prozent. Immerhin: Darunter waren drei große Brocken für 95 Millionen Dollar, 81,5 Millionen Dollar und 68,5 Millionen Dollar.
"Ich verkaufe weniger, und es dauert länger", sagt Cloninger mit gespielter Pein. Der Beweis findet sich draußen, in den stillen Straßen. Hier stecken überall Metallschildchen in den Vorgärten: "For Sale". Sie sind so klein und diskret, dass sie nur erkennt, wer danach sucht. Die amtliche Mindestgröße legt fest, dass die Plakette nicht größer als 10 mal 15 Zentimeter messen darf.
Denn Diskretion ist in Palm Beach Ehrensache. Anders als Cloninger, der freudig Rede und Antwort steht, geben sich die offiziellen Ortsvorsteher zugeknöpft - gerade in diesen Zeiten, wo Reichtum plötzlich einen Ruch hat.
Von Madoff will hier keiner etwas wissen
Bürgermeister Jack McDonald, um eine Einschätzung der wirtschaftlichen Lage gebeten, spricht nach Auskunft seiner Assistentin Sarah Hannah prinzipiell nicht "mit auswärtigen Reportern". Sie leitet die Anfrage gerne an den Stadtrat weiter: "Ich glaube aber nicht, dass irgendeiner der Amtsträger in der Lage sein wird, Ihnen zu helfen."
Die Tagesordnung des Stadtrats, der in der Town Hall im Kolonialstil tagt, offenbart jedenfalls krisenfremde Idylle: Küstenschutz, Architekturfragen, Wildkatzen-Management. Derweil widmet sich die Hauptschlagzeile der "Palm Beach Post" an diesem Tag dem mysteriösen Gifttod von 21 Polopferden hier.
Von der Town Hall sind es nur wenige Schritte zur Worth Avenue - der Shopping-Meile von Palm Beach. Auf den drei Straßenblocks ballt sich mehr Luxus als auf drei Kilometern Fifth Avenue in New York. Saks, Neiman Marcus, Louis Vuitton, Tourneau, Valentino, Cartier, Escada, Brooks Brothers, Armani, Hermès, Tiffany, Gucci, Chanel, Polo Ralph Lauren - das Ganze wird gesprenkelt mit Vier-Sterne-Restaurants, Kunstgalerien und - selbstverständlich - Immobilienagenturen: "Vier Schlafzimmer, sechs Badezimmer, mit Blick auf den Sonnenuntergang, 5,9 Millionen Dollar, inklusive Weinkeller für 700 Flaschen."
Die Auslagen strotzen vor Pelzen, Diamanten, Antiquitäten. Doch die Geschäfte sind so leergefegt wie die Straße selbst - Zufall oder Symptom? Vor dem Juwelier HT Stuart langweilt sich ein Wachbeamter. Ein Rentnerpaar ächzt aus einem Jaguar und wackelt zum "Lunch Special" in "Victor's Cafe".
Ein Bekleidungsgeschäft trägt den trefflichen Namen "Trillion" (Billion). Auch hier steht die Bedienung herum, während ein fein frisierter echter Pudel mit einem Plüschpendant spielt. "Die Leute kaufen weniger", räumt die Verkäuferin ein, verweigert aber ihren Namen. Den Kundenmangel begründet sie mit der Hitze.
Spielweise des Milliardenbetrügers
"Trillion" hat noch ein anderes Problem: Es war ein Lieblings-Shop des Milliardenbetrügers Bernard Madoff. Und dessen Namen darf man in Palm Beach nicht mehr laut sagen - er ist zum Paria geworden, zum Unaussprechlichen.
Dabei kennt ihn jeder. Madoff war eine Art Ehrenbürger, lebte förmlich im Country Club, besaß ein 9,4-Millionen-Dollar-Ferienhaus am Wasser.
Hier im Millionärsrefugium fand Madoff auch seine arglosesten Opfer: im Golfclub, beim Dinner, auf Cocktailpartys. Halb Palm Beach habe seine Lebensersparnisse an ihn verloren, wird gemunkelt. Die Madoff-Klientenliste des Gerichts jedenfalls verzeichnet allein unter dem Buchstaben "A" 31 Adressen aus Palm Beach. "Hurrikan Madoff", sagen sie hier auch.
Wer das anspricht, merkt, dass der ganze Ort vor Scham und Wut erstarrt ist. "Madoff", sagt eine alte Dame an der Promenade und spuckt förmlich aus. "Möge er in der Hölle schmoren."
Wo Madoff seine letzte Hose in Freiheit kaufte
Bei "Trillion" hat Madoff einen seiner letzten Einkäufe in Freiheit getätigt: eine Kaschmirhose für 2000 Dollar. Da seine Größe nicht vorrätig war, sollte sie eigens aus Italien importiert werden. Doch als Besitzer David Neff Madoffs Kreditkarte schließlich belasten wollte, war sie bereits gesperrt - und Madoff verhaftet. Seitdem, sagte Neff der "Times", blieben auch die meisten Stammkunden aus - viele stünden dank Madoff vor der Pleite.
"Ich kenne Madoff nicht", murrt auch der sonst so blendend gelaunte Jeff Cloninger. "Und ich bin's leid, über ihn zu sprechen." Madoff ist schlecht fürs Geschäft, genauso wie das Gerede von der Rezession. Lieber redet Cloninger also von seinen Kunden. "Ich habe jetzt sogar zwölf aus Deutschland", sagt er. Die Deutschen liebten die Sauberkeit und Ordnung in Palm Beach. "Meist kommen sie aus Hamburg, neuerdings auch Düsseldorf."
Zumindest damit liegt er wohl richtig: Es wird immer Leute mit Geld geben, und sie werden immer nach Palm Beach kommen.
source: spiegel