FORT MYERS IN FLORIDA
Leben auf der rechten Spur
Je niedriger das Tempolimit, desto gelassener das Leben - das scheint das Motto an Floridas Westküste. Mit jeder Meile von Fort Myers in Richtung der Inseln werden Besucher und Bewohner relaxter. Bis Cabbage Key erreicht ist, hier passiert alles nur noch im Schritttempo.
Fort Myers - Und wieder kommt ein Dollar an die Decke: Ein Gast hat mit dickem Filzstift seinen Namen auf dem Geldschein verewigt, den er nun mit Klebeband an einem Stützbalken fixiert. So ist es Brauch im Restaurant auf der Insel Cabbage Key im Südwesten Floridas - rund 70.000 US-Dollar hängen schon an den Wänden.
Es ist Mittagszeit, der Laden ist rappelvoll. Kellner schleppen massenweise Cheeseburger heran, die Besucher lehnen sich zurück. Sie haben einen Gang heruntergeschaltet, denn sie sind an einem Ort, an dem alles im Schritttempo passiert. Cabbage Key ist nur per Boot erreichbar. Auf der Reise hierher, an der Küste des Golfs von Mexiko entlang, hat sich eines gezeigt: Je langsamer man fahren darf, desto entspannter die Menschen.
Drei Tage zuvor auf dem Interstate-Highway 75: Mit 70 Meilen in der Stunde, immerhin 112 km/h, geht es auf die Ausfahrt Fort Myers zu. Hier an Floridas Westküste verbrachten schon der Erfinder Thomas A. Edison und Automagnat Henry Ford im frühen 20. Jahrhundert regelmäßig den Winter. Ihre Ferienhäuser gehören zu den größten Sehenswürdigkeiten in Lee County. Edisons Haus kann seit 1947 besichtigt werden, und im unverändert gebliebenen Laboratorium lassen sich die Touristen seine Experimente mit künstlichem Gummi erläutern.
Region Fort Myers: Zwischen der Tampa Bay und den Everglades an Floridas Westküste
Die meisten Deutschen fliegen allerdings nicht nach Fort Myers, um ein Haus zu finden, sondern um sich in die Sonne zu legen, in den großen Outlets einzukaufen und die Natur zu genießen. Im Jahr 2008 kamen 170.000 Besucher mit deutschem Pass nach Lee County - so viele wie aus keinem anderen Land außerhalb der USA. Wer an den Stränden spazieren geht, hört neben Englisch viel Schwäbisch oder Sächsisch.
Ab nach Captiva
Ohne Mietwagen kommen Urlauber kaum zurecht - die Distanzen sind groß. Vom Flughafen zum Meer dauert die Fahrt 30 Minuten. Sie führt an Fastfood-Restaurants und Einkaufszentren vorbei. Das Tempolimit beträgt nun 55 Meilen (88 km/h) - noch nicht wenig genug, um zur Ruhe zu kommen und den Alltag wirklich hinter sich zu lassen.
An der Kreuzung von Summerlin Road und San Carlos Boulevard trennen sich die Wege: Wer Sport und Spaß sucht, fährt nach Süden ins lebhafte Fort Myers Beach, wo vor allem Familien Quartier beziehen und auch einige Hochhäuser am Strand gebaut wurden. Mehr Exklusivität und Ruhe bietet dagegen die Fahrt gen Westen zu den Inseln Sanibel und Captiva.
Am Fort Myers Beach scheint halb Amerika versammelt zu sein, auf dem Parkplatz stehen Autos mit Kennzeichen von Maine bis Kalifornien. Viele Urlauber treffen sich am Strand zum Sonnenuntergang und später in der kleinen Fußgängerzone Times Square, in der sich die Restaurants und Bademoden-Läden konzentrieren. Aus "Jimmy B's Rooftop Bar" dröhnt Rock, unter dem Pier rauschen die Wellen, und weiter südlich an der Küste zucken immer wieder die Blitze eines fernen Gewitters auf - der Donner schafft es nicht bis hierher.
Naturliebhaber fahren weiter zum Lovers Key State Park, der südlich an die Insel anschließt. Der Name ist Programm: Am rund vier Kilometer langen Strand steht ein Pavillon, der für Trauungen genutzt wird und auch für Heiratsanträge beliebt ist. In der Nähe gibt es aber auch drei Zugänge zum "Calusa Blueway", einem 305 Kilometer langen Wasserwegenetz, das sich durch das County zieht. Benannt ist es nach den einst hier heimischen Calusa-Indianern.
Mit Kajaks und Kanus geht es durch die Mangrovenlandschaft, immer wieder kreuzen Pelikane und andere große Wasservögel den Weg - auch das Paddeln ist also eine Möglichkeit, langsamer zu werden und die Zeit mehr zu genießen. Im Sommer sollten Urlauber aber vorsichtig sein: "Wichtig ist es, alle Wassersport-Aktivitäten dann in die Vormittagsstunden zu legen, weil nachmittags immer Gewittergefahr besteht", empfiehlt die "Calusa-Blueway"-Koordinatorin Betsy Clayton.
Eine gigantische Weltrekord-Muschel
Vom Wasser zurück auf die Straße, das nächste Ziel ist Sanibel. Sechs Dollar (4,30 Euro) kostet die Brückenbenutzung bei jeder Fahrt auf die Insel, eine Art Eintrittsgeld zu einer heileren Welt. Berühmt geworden ist Sanibel wegen der unzähligen Muscheln, die an die Strände gespült werden, vor allem nach Stürmen im Winter. Einen guten Überblick bietet das Bailey-Matthews-Shell-Museum, in dem unter anderem eine 60 Zentimeter lange Weltrekord-Muschel ausgestellt ist, die Taucher in der Nähe der Insel auf einer Sandbank gefunden haben.
Auf Sanibel fällt auf: Die Menschen nehmen sich mehr Zeit. Viele sind per Fahrrad unterwegs, denn Autofahren kostet hier mehr als anderswo in den USA. Parken an den Stränden zum Beispiel schlägt tagsüber mit 2 Dollar (1,40 Euro) pro Stunde zu Buche. Das Tempolimit sinkt auf der Insel von 55 auf 35 Meilen pro Stunde (56 km/h) - vor allem, um die Wildtiere zu schützen.
Ein Großteil Sanibels liegt in einem nach dem Naturschützer J.N. "Ding" Darling benannten Schutzgebiet, durch das eine Straße führt, die in den sechziger Jahren gebaut wurde. "Zur Mückenbekämpfung", wie die Führerin Mari Hanley im National Wildlife Refuge erzählt, denn "damals war Sanibel die Mücken-Hauptstadt der USA". Heute schwirren nicht mehr Plagegeister durch die Luft als auch sonst in diesen Breitengraden.
Den knapp 6,5 Kilometer lange Wildlife Drive durch das Schutzgebiet können Urlauber mit dem Mietwagen befahren, bei den geführten Touren gibt es aber viel Interessantes zu lernen - etwa über einen Vogel namens Snowy Egret, dessen gelbe Zehen im Wasser wie Würmer aussehen. "Das lockt Fische an", erzählt Mari Hanley, "und dann schnappt der Egret zu."
Der Wildlife Drive ist freitags geschlossen, "damit die Tiere an wenigstens einem Tag der Woche ihre Ruhe haben", so die Führerin. Dann können Urlauber die Wildtierklinik C.R.O.W. besuchen, in der pro Jahr etwa 4000 Patienten behandelt werden, von Vögeln bis zu Reptilien. Seit Januar 2009 gibt es hier ein Besucherzentrum, in dem sich Touristen selbst wie Tierärzte fühlen dürfen. Wer mag, kann sich authentische Fälle aus der Praxis schildern lassen und muss dann selbst die Diagnose stellen und eine Therapie vorschlagen - zum Beispiel für eine Schlange, die zwei Golfbälle verschluckt hat.
"Ja, wir leben auf der Insel"
Vom C.R.O.W. aus führt die Straße weiter nach Captiva Island, das nur eine kleine Brücke von Sanibel trennt. Das Tempolimit sinkt auf 30 und schließlich 25 Meilen pro Stunde. Grüne Vegetation mit vielen Palmen und üppigem Hibiskus verstellt den Blick auf die Villen entlang der Straße. Dafür schimmert immer wieder der Golf von Mexiko zwischen den Bäumen hindurch. Captiva ist definitiv ein Ziel für Menschen mit dem nötigen Kleingeld. Es wirkt noch lieblicher und entspannter als Sanibel. Ganz draußen bleibt der Festlandalltag aber nicht, wie das Starbucks-Kettencafé im Norden Captivas beweist.
Auf Captiva beginnt die Bootsfahrt mit der "Lady Chatwick" nach Cabbage Key - mit zehn Minuten Verspätung, denn das Leben ist hier so relaxt, dass sich gleich mehrere gebuchte Passagiere verspäten. Kapitän Tom Jones erzählt unterwegs Geschichten über die Inseln am Pine Island Sound, durch den das Schiff tuckert, und schon kurz nach dem Ablegen tauchen Delfine an der Steuerbordseite auf. Jones pfeift auf vier Fingern, die Passagiere klatschen wie verrückt in die Hände - das bringt die Meeressäuger immer wieder dazu, über die von der "Lady Chatwick" geschlagenen Wellen zu springen.
Der Landgang auf Cabbage Key ist mit gut zwei Stunden angesetzt. Es gibt einen Naturlehrpfad, den auch viele Mücken mögen, und eine Aussichtsplattform auf einem etwa 20 Meter hohen Wasserturm aus Holz, der seit den dreißiger Jahren allen Hurrikans getrotzt hat. Im rustikalen Restaurant mit seiner Cheeseburger-Platte für 7,99 Dollar (5,70 Euro) tragen die Kellner alle ein T-Shirt, auf dessen Rückseite Antworten auf die meistgestellten Gästefragen gedruckt sind: "Ja, wir leben auf der Insel" zum Beispiel oder "Durch die Bar und dann links" - das muss der Weg zur Toilette sein.
Wer zahlt, lässt nicht nur Trinkgeld liegen, sondern fragt meist auch nach Filzstift und Klebeband - denn ein Dollar kommt ja an die Decke, bevor es zurück geht in eine Welt, die mit jeder Meile Richtung Festland wieder etwas hektischer wird.