Work & Travel in Australien
Striptease für die Urlaubskasse
Allan Ild
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Mit einem Arbeitsvisum versuchen immer mehr junge Urlauber, ihre Reise durch Australien als Erntehelfer oder Kellner zu finanzieren. Doch jetzt werden wegen der Wirtschaftskrise die Jobs knapp und einheimische Arbeiter bevorzugt - manchmal bleibt nur eine Tätigkeit im Stripclub.
Ungeschminkt, in Turnschuhen, Jeans und Kapuzenpullover verlässt Kate um neun Uhr abends ihre Jugendherberge in Sydney und macht sich auf den Weg zur Arbeit. Eine halbe Stunde später trägt die 19-jährige Abiturientin aus Bremen dunkles Make-up, einen Minirock im Schottenmuster, ein schwarz-rotes Bikinioberteil und Wollstulpen über den schwarzen Lackledersandalen. Auf 15 Zentimeter hohen Absätzen stöckelt die 1,80 Meter große junge Frau über den schwarzgold gemusterten Teppichboden des Nachtclubs "Dreamgirls" in Sydneys Rotlicht- und Partyviertel Kings Cross. Das Licht ist gedämpft, eine Diskokugel dreht sich an der niedrigen Decke, es läuft schnelle Musik.
"Australien war ein Traum von mir", sagt Kate und streicht sich die schwarz gefärbten Haare aus dem Gesicht. Ein paar Minuten später dreht sie sich an der Eisenstange, räkelt sich am Boden der zwölf Quadratmeter große Bühne im "Dreamgirls", kreist mit Hüften und Hintern und zieht sich dann langsam und noch etwas ungeschickt Rock und BH aus. Grölende Studenten in schwarzen Ledersesseln vor der Bühne stecken ihr Dollarnoten in den Slip. In der Hoffnung auf einen weiteren Schein zwinkert Kate dem Mann mittleren Alters mit hochgestelltem Mantelkragen noch ein zweites Mal zu.
Ein festes Gehalt bekommen sie und ihre Kolleginnen in rosa Spitzenunterwäsche und High-Heels hier nicht. Lediglich das Trinkgeld von der Bühne und einen Teil der Einnahmen aus den zehnminütigen Privattänzen in den Separees im hinteren Teil des Clubs dürfen sie behalten.
Kate, die eigentlich anders heißt, arbeitet seit gut einem Monat als Stripteasetänzerin - der einzige Job, den sie bislang in Sydney finden konnte. Anfang Juli kam die junge Deutsche für ein Jahr mit einem "Working Holiday" Visum nach Australien, um die Zeit bis zum angestrebten Medizinstudium "sinnvoll" zu überbrücken. Ihre Familie und Freunde in Deutschland wissen nicht, wie sie hier ihr Geld verdient. "Meine Großeltern würden einen Herzinfarkt bekommen."
Deutlich weniger Jobs für Ausländer
Seit der Einführung des deutsch-australischen Visaabkommens im Jahr 2000 galt das zwölf Monate gültige "Working Holiday" Visum als Garantie für Aushilfsjobs, Reisen und Spaß. Mittlerweile bekommen die jungen Reisenden die Auswirkungen der weltweiten Wirtschaftskrise auch in Down Under zu spüren. "Dieses Jahr gibt es circa fünf bis zehn Prozent weniger Arbeitsplätze in Australien", sagt Mike Parsons, Geschäftsführer der Arbeitsvermittlungsagentur Work and Travel Company (WTC) in Sydney.
Gleichzeitig steigt die Zahl der Visaanträge kontinuierlich an. So wurden für das Jahr 2008 rund 180.000 Arbeitsurlaubs-Visa an junge Menschen zwischen 18 und 30 Jahren ausgestellt, über 30.000 mehr als noch im Jahr zuvor. Deutsche bilden hinter Engländern und Koreanern die drittgrößte Gruppe. "Die jungen Leute müssen sich jetzt mehr anstrengen und engagierter suchen als noch vor 12 oder 18 Monaten", sagt Parsons.
Die WTC versorgt die Reisenden mit Angeboten für Aushilfsjobs, vorzugsweise als Erntehelfer, Hilfsarbeiter oder im Gaststättengewerbe. Kate vermittelten sie einen einwöchigen Job in einer Fabrik, Billigware aus China neu verpacken und umetikettieren. Danach blieben die Angebote aus. "Die Agentur hat mir nichts gebracht. Da muss man dann eben erwachsen sein und selber gucken", sagt die 19-Jährige, die in ihrer Freizeit Kafka und griechische Sagen liest. So klapperte sie sämtliche Bars und Restaurants in Sydney ab - ohne Erfolg. Im "Dreamgirls" wurden auch keine weiteren Kellnerinnen gesucht, doch der Manager musterte sie von oben bis unten und sagte: "Du könntest hier tanzen."
Auch in unbeliebten Städten arbeiten
Es reiche nicht mehr, nur den Lebenslauf bei einer Arbeitsagentur abzugeben, sagt Tanja Kuntz von TravelWorks, einer der größten deutschen Organisationen für Australien-Aufenthalte. "Man muss bereit sein, sich die Hände schmutzig zu machen und nicht nur in den schönen Städten, sondern auch in unattraktiven Orten zu arbeiten."
Damit hatten die 21-jährige Sandy, Bäckereifachverkäuferin aus Sachsen, und ihre drei Freundinnen auch gerechnet. Um dennoch keine bösen Überraschungen zu erleben, zahlten sie im Vorfeld rund 1500 Euro an die Organisation Stepin. Neben Hin- und Rückflug verspricht Stepin dafür unter anderem Hilfe bei der Jobsuche durch ihre Partneragentur, die WTC in Sydney. Im selbst gekauften Auto fuhren die vier Freundinnen umher, die Ostküste hoch, durchs Outback zum Ayers Rock und wieder zurück nach Sydney - auf der Suche nach Abenteuer und Arbeit. "Wir waren bereit, jede Art von Job zu machen", erinnert sich Anna, 20, aus dem Schwarzwald.
Nur fünf Wochen haben die Freundinnen in sechs Monaten gearbeitet, pflückten als Erntehelferinnen eimerweise Weintrauben und Tomaten oder füllten in einer Fabrik Gesichtspuder ab. Die 3000 Euro Startkapital, die jeder, der mit einem Working Holiday einreist, vorweisen muss, haben sie komplett verbraucht. "Wir haben verzweifelt bei der WTC angerufen und als Antwort bekommen, dass wir uns selbst kümmern sollen", sagt Sandy.
"Wir versprechen keine Traumjobs am Strand", betont Marisa de Luca, Pressesprecherin von Stepin. Ob ein Arbeitsverhältnis zustande komme, hänge von den Sprachkenntnissen, den Erfahrungen und der Flexibilität der Bewerber ab. "Das ist wie in Deutschland. Arbeit zu finden ist nirgendwo einfach."
Aus Bundaberg, einer Hochburg für Erntehelfer an der Ostküste, reisten die vier nach einer Woche wieder ab - zu viele andere warteten bereits auf Jobs. "Einige Backpacker sind früher als geplant wieder nach Hause gefahren, weil sie kein Geld mehr hatten", erinnert sich Sandy. Und rund um die Bananenplantagen im Nordosten wurde die Mädelsclique bereits von Schildern mit der Aufschrift "Gebt Backpackern keine Jobs, gebt sie den Australiern" begrüßt. "Einige Stellen werden derzeit lieber an arbeitslose Australier vergeben", bestätigt Parsons.
"Nehmt genug Geld mit!"
Auch Chris aus England hört immer wieder in Bewerbungsgesprächen, dass Arbeitgeber zurzeit lieber Einheimische einstellen. Der EDV-Techniker war bereits im Jahr 2000 für einige Monate in Sydney. "Damals gab es noch vergleichsweise gut bezahlte Jobs wie Sand am Meer", erinnert sich der 32-Jährige.
Nachdem die Softwarefirma, für die er in England arbeitete, den größten Kunden verloren hatte, kündigte er und ging zurück nach Australien. "Ich bin lieber hier arbeitslos als in England." Um Geld zu sparen, nutzt Chris das kostenlose Internet sowie die Tageszeitungen in der öffentlichen Bibliothek und hat aufgehört zu rauchen. "Zur Not würde ich meine Eltern um Geld bitten", sagt er. Aber auf keinen Fall würde er früher zurückfahren. "Ich liebe dieses Land."
Auch Sandy und ihre Freundinnen würden die Reise jederzeit noch mal machen. "Es war 'ne geile Zeit", sind sie sich einig. Ihr Rat an zukünftige Reisende: "Nehmt genug Geld mit und geht in Bezug auf die Arbeitssuche vom Schlimmsten aus."
Ungefähr 110 Euro hat Kate verdient, als sie um fünf Uhr morgens in das Zehn-Bett-Zimmer der Jugendherberge zurückkommt. Eine durchschnittliche Nacht. Wenn es gut läuft, verdient sie um die 150 Euro und mehr. "Irgendwie macht mir der Job auch Spaß", sagt sie. Die 19-Jährige will noch so lange im "Dreamgirls" tanzen, bis sie einen neuen Job findet oder genug Geld gespart hat, um ihr Glück woanders in Australien zu versuchen. Ganz nach dem Motto, das auch auf dem Totenkopfemblem ihres Minirocks steht: "Let's hope for the best."
source: spiegel