27. Februar 2008, 06:09 Uhr
ALASKA
Whisky auf Gletschereis
Seeadler hocken auf den Bäumen, Bären tollen über Schotterpisten: In Alaska finden Urlauber ein nahezu unberührtes Naturparadies vor. Am Ende der besiedelten Welt öffnen Eingeborene ihre Türen - auch um ihre Kultur zu erhalten.
"Das ist der Devil's Stopp", sagt Tyler Robinson und deutet vom Cockpit aus auf eine zackig-spitze Felsformation. Das sechssitzige Flugzeug gleitet knapp über das ewige Eis des LeConte-Gletschers hinweg. In diese weiße Welt gelangt sonst kein Mensch, höchstens ein paar abgehärtete Bergziegen oder eben der Teufel persönlich, der am Gletscher stoppt, um die Schönheit der Erde zu bewundern.
Straßen sucht man hier vergeblich: Wer zum südlichsten Zipfel Alaskas möchte, muss sich zwischen Fähre und Flugzeug entscheiden. Der Pilot lenkt seine Maschine zurück nach Wrangell, einen Ort mit 2000 Einwohnern. Im Büro der Flugfirma zeigt er seinen Passagieren ein Gletscherfoto von 2002. "Da ist das Eis noch einige Meter länger", meint Tyler. Die Eisriesen schmelzen, auch in Alaska.
Durch Wrangell weht ein Hauch von Last Frontier, dem Ende der besiedelten Welt, wie der Slogan von Alaska lautet. Vor den einfachen Holzhäusern mit Elchgeweihen an der Fassade stehen Pick-ups und Männer in derber Arbeitskleidung. Weißkopfseeadler hocken auf den Bäumen wie anderswo Krähen. Wrangell ist kein Touristenort wie Sitka oder Ketchikan in der Wasserstraße Inside Passage, die häufig von Kreuzfahrtschiffen angesteuert und dann von Urlaubern auf Landgang überschwemmt werden. Wrangell ist echtes Alaska, gegründet im 19. Jahrhundert, bevor die Russen Alaska an die Amerikaner verkauften.
Ursprünglich war die Gegend von Tlingit-Indianern besiedelt, einem von fünf Ureinwohnerstämmen Alaskas. Sie nutzten den nahe gelegenen Stikine-Fluss als Handelsroute ins Landesinnere. Wilma Leslie, die Tochter eines Tlingit-Häuptlings, führt heutige Gäste zum Chief Shakes Tribal House, einem großen Stammeshaus aus Zedernholz. "Wir möchten Touristen über die Kultur der Eingeborenen informieren", sagt die 44-Jährige und reicht dabei Seegras und andere typische Speisen der Küstenindianer zum Kosten - es ist ihr Versuch, eine fast untergegangene Kultur am Leben zu erhalten.
Auf den Spuren der Eingeborenen
Mit dem Kajak geht es aufs Wasser hinaus, ganz so, wie einst die Indianer große Strecken zurücklegten. Leise gleiten die Boote über die ruhige See, den Blick auf die Wasseroberfläche gerichtet, denn manchmal kommen Wale bis an die Küste von Wrangell heran. Dann steigen alle am Petroglyphen-Strand aus. Bootsführerin Kate versichert: "Wir haben die höchste Konzentration von Petroglyphen in ganz Alaska." Mehr als 8000 Jahre alt sollen die reliefartigen Bilder aus Stein sein. Mit suchendem Auge wandern die Besucher langsam über den Sand. Hier ist ein Fisch auf einem Felsen zu sehen und dort ein Gesicht auf einem Stein, kunstvolle Relikte aus prähistorischer Zeit.
Ein Boot braust vorbei. Brenda Schwartz gibt mit dem 500 PS starken Motor Gas, um zum 37 Kilometer entfernten Anan Bear Observatory zu gelangen. Die Bären-Beobachtungsstation, ein touristischer Höhepunkt in der Gegend, ist nur per Boot zu erreichen. Vom Ufer führt ein gut befestigter Weg durch den ursprünglichen Regenwald: Riesige Farne, umgestürzte Bäume, seltsame Pflanzen und von den Ästen herunterhängendes Moos verleihen ihm eine mystische Stimmung. Schnell ist die Beobachtungsstation erreicht, die direkt an einem kleinen Fluss liegt. Tierfreunde und Fotografen können sich in dem getarnten Holzgebäude ungesehen aufhalten und so Braunbären aus nächster Nähe beobachten und fotografieren.
Paradies für Naturliebhaber
"Das ist einmalig hier", erklärt Brenda, "ohne viel Anstrengung kommt man als Durchschnittsreisender ganz nah an wilde Tiere heran." Doch nicht ein Bär lässt sich an diesem Tag blicken, denn die Lachse sind wider Erwarten noch nicht da. Alaska unterliegt dem Zyklus der Lachse. Wenn sie im Sommer an ihre Laichplätze in den Bächen und Flüssen zurückkehren, ziehen sie Bären, Vögel und auch Menschen an.
Langsam entfernt sich die Fähre, die seit kurzem einige Orte im südöstlichsten Alaska miteinander verbindet, von Wrangell. Vom Deck des Schiffes ergibt sich ein schöner Blick auf die Berge, Gletscher und Schneefelder, deren Weiß den blauen Himmel zu küssen scheint. Dazu kommen das Grün der dicht bewaldeten Inseln und das Blau des Pazifiks - ein aufregendes Farbenspiel der Natur. Nur wenige Besucher gehen in Coffman Cove, dem Fährterminal der Prince-of-Wales-Insel, von Bord. Der Tourismus auf der größten Insel des Alexander-Archipels steckt noch in den Anfängen. Es gibt nur einfache Lodges für Fischer und Jäger sowie Bed-and-Breakfast-Unterkünfte wie die von Julie und Dennis Benson in der Thorne Bay.
Schotterpisten statt Straßen
"Wir haben für Naturliebhaber einiges zu bieten", meint Dennis, der bei der Forstbehörde arbeitet: "Einsame Strände und wirkliche Urwälder mitten im Tongass-Nationalforst." Der gemäßigte Regenwald umfasst insgesamt rund sieben Millionen Hektar. Wald, soweit das Auge reicht. Doch auch radikal abgeholzte Flächen sind sichtbar, die klaffende Wunden in die gebirgige Insel gerissen haben.
Mitten im Wald versteckt liegt die El Capitan Cave, die einzige offiziell zugängliche von mehr als 500 entdeckten Höhlen auf der Insel. "Etwa 1000 Leute im Jahr klettern mit uns in die große kalte Höhle", sagt Emily Bebett und verteilt Helme und Lampen. Wie für eine Bergwerksexpedition ausgestattet, überwinden die Besucher zuerst 370 Treppenstufen, um sich dann auf die Spur der Vorgeschichte zu begeben. "Unsere Tierknochenfunde sind weit über 10.000 Jahre alt", erzählt die Höhlenführerin mitten im Karstgestein.
Die dünn besiedelte Prince-of-Wales-Insel ist gut erschlossen mit Straßen, allerdings sind wenige davon geteert, der Großteil besteht aus Schotterpisten. Das Autofahren erfordert volle Aufmerksamkeit, denn oft wechseln Rehe die Straßenseite - oder tatsächlich auch Schwarzbären. Es lohnt sich, den Fotoapparat griffbereit zu halten. An der Ostseite der Insel befindet sich der Totem-Park von Kasaan, einem einsamen Dorf des Haida-Stammes. Versteckt im Wald stehen ein Dutzend geschnitzter Totempfähle mit rätselhaften Figuren. Sie verbildlichen Geschichten der Indianer aus Zeiten ohne Schriftkultur.
Kunstwerke aus ewigem Eis
Im Vergleich zu dieser Einsamkeit wirkt das Städtchen Petersburg auf der Mitkof-Insel, die ebenfalls mit der Fähre zu erreichen ist, geradezu geschäftig: Der größte Fischereihafen der Inside-Passage birgt die weltweit umfangreichste Heilbuttfischer-Flotte. Überall basteln Fischer an ihren Booten. Ihren Fang verarbeiten die meist ausländischen Arbeiter in den Fischfabriken zu Konserven.
Barry Bracken legt gerade ab mit seinem Zehn-Meter-Boot Island Dream. Der Meeresbiologe bringt Touristen, Wissenschaftler und Fotografen zum Eis. Als er in die Bucht des LeConte-Gletschers einbiegt, kommen die ersten Eisschollen entgegen. "Der LeConte Gletscher ist recht aktiv", erklärt der 60-Jährige. "Er bewegt sich 30 Meter am Tag und kalbt viel." Langsam manövriert Barry um die messerscharfen Eisbrocken herum - äußerste Vorsicht ist geboten, auch wenn der Bootsrumpf extra verstärkt wurde. Für die Kreuzfahrtschiffe ist die LeConte-Bucht zu gefährlich. So genießt der Gast bei Barry fast allein die Eiswelt, bei einem Glas Whiskey auf Gletschereis.
Mit großen Augen schauen Seelöwen die Besucher an und gleiten flugs mit ihren Babys von den Eisschollen ins Wasser. Immer mehr Eisberge schwimmen vorbei: weiß wie der Schnee oder durchsichtig türkisfarben, immer anders geformt, von der Natur als Kunstwerk geschaffen. Am nächsten kommen Touristen zu den Gletschern allerdings aus der Luft. Mit dem Helikopter fliegt Steve Wally O'Brocta seine Gäste zum Patterson-Gletscher und landet direkt auf dem Eis. Ein Spaziergang über das Meer in dieser unendlichen Weiße begeistert auch den Piloten immer wieder: "Für mich ist das der friedlichste Ort der Welt."
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