US-Einwanderung
Obamas Solo
Alleingang des US-Präsidenten: Per Dekret schützt Barack Obama bis zu
fünf Millionen illegale Immigranten vor der Abschiebung. Es ist eine
Kampfansage an jene Republikaner, die eine echte Einwanderungsreform
blockieren. Die Zeichen stehen auf Sturm.
Ansprache ans amerikanische Volk, beste Sendezeit, roter Teppich: Barack Obama hat am Donnerstagabend den ganz großen Auftritt gewählt, um ein altes Wahlversprechen teilweise einzulösen: Der US-Präsident schützt bis zu fünf Millionen illegale Immigranten vor der Abschiebung und gibt ihnen die Chance, ihr Schattendasein zu verlassen. Gegen den massiven Widerstand der Republikaner kündigte der US-Präsident mehrere Exekutivanordnungen an.
"Unser Einwanderungssystem ist kaputt, jeder weiß das", sagte Obama in seiner gut zehnminütigen TV-Rede aus dem Weißen Haus. Massenabschiebungen seien unrealistisch und würden nicht dem Charakter der USA entsprechen, erklärte er mit Blick auf die insgesamt elf Millionen Illegalen in den USA: "Wir sind und werden immer eine Nation von Einwanderern sein."
Im Einzelnen kündigte Obama dies an:
- Ausweitung eines bereits bestehenden Programms für Einwanderer ohne gültige Papiere, die als Kinder oder Teenager in die USA kamen und von der Ausweisung verschont werden ("Deferred Action"). Mehr als eine halbe Million Menschen haben auf diese Weise bereits eine befristete Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis erhalten.
- Illegal eingewanderten Eltern, die seit mindestens fünf Jahren in den USA leben und deren Kinder die US-Staatsbürgerschaft oder eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung haben, wird ein legaler Status für drei Jahre eingeräumt, viele von ihnen können somit eine Arbeitserlaubnis beantragen. Voraussetzung ist, dass sie sich bei den Behörden registrieren lassen, eine polizeiliche Überprüfung bestehen und Steuern zahlen. Rund vier Millionen Menschen erfüllen diese Voraussetzungen, können sich bei den Behörden offenbaren und müssen dann eine polizeiliche Überprüfung durchlaufen sowie Steuern zahlen.
- Keinen legalen Aufenthaltsstatus bekommen dagegen die illegal eingewanderten Eltern jener Kinder, die per "Deferred Action" (siehe Punkt 1) im Land bleiben dürfen.
- Bessere Sicherung der US-Grenze zu Mexiko, um weitere illegale Einwanderung möglichst kleinzuhalten. Künftig sollen vor allem Kriminelle, nicht mehr Familien abgeschoben werden.
Das sind historische Maßnahmen. Denn seit fast 30 Jahren war nichts mehr vorangegangen im Einwanderungsrecht. Die letzte große Reform schob der frühere Präsident Ronald Reagan im Jahr 1986 an, als er per Gesetz 2,7 Millionen Menschen ohne gültige Papiere ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht gewährte.
Reagan also griff zu einem Gesetz, warum erlässt Obama nur Dekrete?
Weil er für die von ihm angestrebte grundlegende Einwanderungsreform keine Mehrheit im Kongress bekam. Die größte Chance hatte er gleich zu Beginn seiner Regierungszeit, als die Demokraten die Mehrheit in beiden Kongresskammern hielten, doch Obama ließ sie ungenutzt verstreichen. Der entscheidende Unterschied zwischen Gesetz und Exekutivanordnungen: All das, was der Präsident an diesem Donnerstagabend verkündet hat, kann sein Nachfolger mit einem Federstrich wieder außer Kraft setzen.
Warum hat Obama keinen Kompromiss mit dem Parlament gesucht?
Das hat er versucht. Im letzten Jahr verabschiedete der Senat sogar einen parteiübergreifenden Kompromiss, der Illegalen einen Weg in die US-Staatsbürgerschaft geöffnet hätte; doch das republikanisch dominierte Repräsentantenhaus verweigert bis heute die Abstimmung. In seiner streckenweise emotionalen Ansprache sagte Obama, es sei weiterhin der beste Weg, die Frage der Einwanderung im Parlament zu regeln. Aber bis das geschehe, würden nun eben seine Maßnahmen gelten. (Lesen Sie hier mehr über Obama, die Einwanderungsreform und die Latino-Wählerschaft).
Was machen die Republikaner jetzt?
Sie werfen Obama vor, er verhalte sich wie ein "Kaiser", der das Parlament missachte und eine "Amnestie" für Illegale erlassen habe. Nun drohen sie mit Konsequenzen: Von einer möglichen Lahmlegung der Regierung ist die Rede, von einem Government Shutdown wie im vergangenen Jahr; der rechtskonservative Tea-Party-Senator Ted Cruz erwägt, sämtliche Personalentscheidungen im Senat zu blockieren; andere Republikaner sprechen sogar von einem Amtsenthebungsverfahren gegen Obama.
Entscheidend wird sein, ob John Boehner und Mitch McConnell, die beiden Chef-Republikaner im Kongress, möglicherweise produktiv auf Obamas Alleingang reagieren können: mit Vorlage eines eigenen Reformgesetzes. Wahrscheinlich ist das jedoch nicht. Obama selbst versuchte seine Kritiker am Donnerstag zu bremsen, zitierte dafür sogar aus der Bibel - und seinen Vorgänger George W. Bush: Die illegal Eingewanderten seien längst "Teil des amerikanischen Lebens", habe Bush gesagt.
Und was denken die Amerikaner?
Während eine Mehrheit prinzipiell für die Reform des Einwanderungsrechts ist, wünschen einer Umfrage von "USA Today" zufolge 46 Prozent keinen Alleingang des Präsidenten, 42 Prozent unterstützen ihn. Obama und die Republikaner werden sich in den kommenden Wochen und Monaten heftige Gefechte um die Exekutivanordnungen liefern. Die meisten US-Präsidenten haben sich in den letzten beiden Jahren ihrer Amtszeit der Außenpolitik zugewendet. Nicht so Obama. Mit seinem Alleingang in Sachen Einwanderung sucht der zunehmend von den politischen Realitäten in Washington genervte 53-Jährige jetzt den offenen innenpolitischen Konflikt mit den Republikanern.
Wer dabei am Ende die besseren Karten hat? Alles offen.
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