Grööööööööööööööl
Gerade ist er am Meer angekommen, an der Westküste der USA. Tod Seelie radelt von Seattle nach San Francisco. 20 oder 23 Tage wolle er unterwegs sein, sagt der Fotograf. Seine Kamera hat er dabei. Hier, am Meer, hofft er auf gute Motive.
Weil sie in Clubs nicht Unsummen für Eintritt und Cocktails zahlen wollen, verwandeln manche New Yorker runtergekommene und leerstehende Häuser oder Wohnungen lieber selbst in eine Party-Location und zeigen so dem Kommerz den Stinkefinger. Seelies Fotos sind Zeugnisse solcher Nächte: Eine Frau in buntem Body und blauer Strumpfhose badet in einem Meer aus Händen. Ein Mann steht da an einer rot-weiß gestreiften Wand, das Schwarz vom Kajal ist von der durchlebten Nacht ganz verwischt. Der Mann trägt einen dunkelblauen Slip und auf der Brust ein paar eintätowierte Sterne. Neben ihm knutscht ein Pärchen.
Bloß nicht auf herumliegende Nägel treten
"Die Fotos sind dort entstanden, wo ich irgendwann Mal gelandet bin", sagt Seelie. "Auf Partys von Freunden oder Underground-Veranstaltungen in Harlem." An besonders wilde Partys meint er sich nicht erinnern zu können - und das, obwohl auf seinen Fotos halbnackte oder verkleidete Menschen auftauchen. Das sei aber ein ganz normales Feierverhalten, sagt Seele. Allerdings holt ihn sein Fotoband, wenn er darin blättert, zurück in die Vergangenheit - und dann weiß er wieder, warum er ursprünglich in diese Stadt gezogen ist: Weil es dort so viele verrückte und kreative Leute gibt, so viele verschiedene Welten.
Viele Menschen kennen dieses New York nicht, sondern nur die seit Rudi Giulianis Amtszeitgrundgereinigte Touristenmetropole. Seelie präsentiert uns dagegen eine Stadt der Schlaflosigkeit, der Ekstase und Anarchie. Durch Mund-zu-Mund-Propaganda erfährt er, wo was los ist und wer sich wo trifft. Partyenklaven in einer Welt aus Wolkenkratzern.
"Man muss aufpassen, dass man in so einem verlassenen Gebäude nicht auf einen Nagel tritt, der irgendwo herum liegt", sagt Seelie. Oft käme auch die Polizei vorbei, räume die Gebäude und verhafte einige Leute. Auch er selbst wurde schon mal mitgenommen, viel scheint ihm das aber nicht auszumachen. Seelie ist ein Abenteurer, einer der mit Kumpels Flöße aus Müll baut und Flüsse damit runter rauscht. Und in der Stadt eben Wagnisse anderer Art sucht: Dann stellt er sich ungerührt neben zwei auf der Straße Streitende und drückt den Auslöser seiner Kamera.
Er tastet sich langsam an die Leute ran, wartet, ob seine Kamera akzeptiert wird. Manchmal bringt ihm das Ärger ein, die Menschen schreien ihn an. Manche bitten ihn auch ruhig darum, keine Fotos zu machen. Seelie fragt nach dem Warum, versucht zu verhandeln. Doch es gibt auch Situationen, da lässt sich nichts mehr verhandeln, da ist einfach Schluss. Einmal sagt ein Mann zu ihm, er möge ihn nicht fotografieren. Warum?, will Seelie wissen. Der Mann antwortet, er sei gerade aus dem Gefängnis entlassen worden.
Seelies Aufnahmen sind nicht nur eine Liebeserklärung an ein anderes New York. Sie sind auch eine Verneigung vor Menschen, die sich Konventionen widersetzen, die die Weltstadt als Spielplatz sehen, auf dem sie sich austoben können. Tod Seelie ehrt jene, die sonst schnell schief angesehen werden, weil sie wie in Trance im ersten Licht des Tages nach Hause schlendern. Übermüdet, aber glücklich.
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