US-Abschlussfeiern: Mut fürs Leben
US-Abschlussfeiern: Mut fürs Leben - Michelle Obama an der Tuskegee University |
Es war nur eine von vielen Reden in dieser Saison. Aber es war die stärkste. Als First Lady Michelle Obama vor den Studenten der Universität von Tuskegee im Südstaat Alabama sprach, da wurde die eigentliche Bedeutung dieses Rituals greifbar, das in den USA das Ende des Studiums markiert.
Für amerikanische Studenten ist der Tag des Commencement Speech ein besonderes, zeremonielles Ereignis. Die Absolventen kleiden sich in Doktorhüte und Talare, jene schwarzen Deckel-Kappen und die langen, glänzenden Kleider, die aussehen wie seidene Morgenmäntel. Der Uni-Präsident liest die Namen vor, die Aufgerufenen schreiten zur Bühne, um unter dem Applaus von Freunden, Kommilitonen und Familie das Diplom zu empfangen.
Aber es ist noch mehr. Zur Tradition gehört die große Rede. Mehr oder weniger berühmte Leute bekommen einen Ehrendoktor verliehen, damit sie im Gegenzug an den abgehenden Jahrgang salbungsvolle Worte richten. Eine Sammlung gut gemeinter Ratschläge und Motivations-Tipps fürs Leben, gewürzt mit kleinen, persönlichen Geschichten. "Vergesst nicht: man kann die Leiter des Erfolgs nicht mit den Händen in den Hosentaschen erklimmen!", warnte einst Arnold Schwarzenegger.
Michelle Obamas Auftritt aber war ein besonderer. Weil sie nicht nur daran appellierte, den Tag zu nutzen, Herausforderungen zu meistern oder Ängste zu besiegen. Sondern darum, wie insbesondere afroamerikanische Absolventen im Leben zurechtkommen können.
"Probleme halten sich hartnäckig"
Die Tuskegee University gehört zu den "Historically Black Colleges and Universities" und Obamas Auftritt fand vor dem Hintergrund der neuen Rassismusdebatte in den USA statt: Damals Ferguson, Baltimore, jetzt auch Charleston. "So sieht's aus - der Weg vor euch wird nicht einfach sein", sagte Obama zu den hauptsächlich afroamerikanischen Studenten.
Und weiter: "Das ist er nie, vor allem nicht für Leute wie euch und mich. Wir sind zwar weit gekommen, aber die Wahrheit ist: Die alten Probleme halten sich hartnäckig und sind nicht ganz beseitigt. Mein Mann und ich wissen, wie frustrierend diese Erfahrung sein kann.
Wir haben beide den Stachel des alltäglichen Rassismus spüren müssen, unser Leben lang. Wenn Leute die Straßenseite wechseln, aus Angst um ihre Sicherheit. Wenn Ladenverkäufer uns die ganze Zeit im Auge behalten. Wenn Leute bei öffentlichen Anlässen dachten, wie gehörten zum Personal. Wenn Leute unsere Intelligenz infrage gestellt haben, unser Ehrlichkeit, sogar unsere Liebe für dieses Land."
Die Rede gewährte seltene Einblicke, denn Michelle Obama spricht nicht oft offen über Rassismus, besonders nicht aus persönlicher Perspektive. Mich hat dieser Auftritt tief beeindruckt. Sie hielt die perfekte Abschlussrede. Weil sie aufrüttelte, statt Plattitüden zu verkünden. Und weil sie den Zuhörern Mut machte.
Inspiration am Ende des Bildungsweges
Warum gibt es solche Feiern, solche Reden eigentlich nicht in Deutschland? Mittlerweile sind zwar manche Fakultäten dazu übergegangen, zumindest kleine Zeremonien zu organisieren. Aber meist läuft das doch so: letzte Prüfung, dann kann man sich das Diplom im Sekretariat abholen. Und los geht's, in den neuen Lebensabschnitt.
In Deutschland kommt die große Feier nicht am Ende der Ausbildung, sondern am Anfang allen Lernens. Erstklässler bekommen ihre Schultüte, einen Ranzen und ein Mäppchen. Meine deutsche Schwiegermutter kam vergangenes Jahr extra angereist, um bei der Einschulung meiner Zwillinge in den USA dabei zu sein.
Stolz liefen die beiden mit ihren - natürlich aus Deutschland mitgebrachten - Schultüten am ersten Schultag auf den Pausenhof. Nur um festzustellen, dass sie die einzigen waren, die so etwas in den Händen hielten. Entsprechend wollten sie dann nicht mehr weiter auffallen, drückten uns die Tüten in die Hand und folgten der Lehrerin ins Gebäude. Das war's. Keine Aufführung, kein großes Aufgebot. Meine Schwiegermutter war verständlicherweise schwer enttäuscht.
Dennoch: Ist nicht Inspiration am Ende der Ausbildung wichtiger als eine Schultüte zu Beginn? Inspiration, wie sie Michelle Obama an der Universität von Tuskegee bot: Die Frustration, von der sie berichtet habe, sei keine Ausrede zum Aufgeben, sagte die First Lady. "Das ist kein Grund, die Hoffnung zu verlieren. Denn wenn wir dem Ärger oder der Verzweiflung erliegen, dann verlieren wir."
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