Der Mythos US-Mafia
Diesen Artikel lesen Sie nur mit
Fast ein gesamtes Jahrhundert beherrschte sie das organisierte Verbrechen in den USA. Verbotenes Glücksspiel, Waffenhandel, Drogen, Wucher-Kredite, Geldwäscherei, Erpressungen aller Art, Prostitution. Sie machte mit allem Geld, was illegal war: die Mafia.
Ihre mächtigen Bosse genossen Promi-Status. Sie kauften Polizei-Departments, Richter und Politiker. Und wenn gar nichts mehr ging, schossen sie sich ihren Weg frei – oder starben selbst im Kugelhagel.
Seit dem Tod des letzten New Yorker Paten John Gotti im Jahr 2002 ist es ruhig um die Gangsterfamilien geworden, die zuvor den Stoff für unzählige Hollywood-Filme und Zeitungs-Schlagzeilen geliefert hatten.
Gotti, der wie heute Donald Trump den Spitznamen Teflon Don trug, weil scheinbar nichts an ihm kleben blieb, war der letzte grosse Boss, dem alle fünf New Yorker Familien die Treue geschworen hatten. Als er im Gefängnis starb, galt der amerikanische Ableger der sizilianischen Cosa Nostra und der neapolitanischen Camorra als zahnlos.
In der vergangenen Woche vermeldete das FBI jedoch eine Massen-Verhaftung. Fast 50 Mafia-Mitglieder waren in mehreren US-Städten festgenommen worden. Unter ihnen John Gottis gleichnamiger Enkelsohn. Seither ist klar:
Die Mafia lebte unter dem Radar der Öffentlichkeit weiter.
Sie hat nicht nur ihre traditionellen „Geschäfte“ weitergeführt, sie mischt nun auch bei Online-Prostitution und illegalen Internet-Sport-Wetten mit. Und sie hat ihre Arme dafür bis nach Zentral-Amerika (Costa Rica) und die Karibik ausgestreckt.
Bestandsaufnahme einer der mächtigsten Gangster-Organisationen der Geschichte:
Der Mann, der für den Aufstieg verantwortlich war, wurde als Paolo Antonio Vaccarelli in Italien geboren und nannte sich nach seiner Ankunft in New York Paul Kelly. Er gründete die sogenannte Five Points Gang. Five Points war ein Gebiet im unterem Teil von Manhattan, in dem sich Verbrecherbanden blutige Machtkämpfe lieferten, die später als Vorlage für den Film „Gangs of New York“ dienten.
Während Kelly selbst nur Insidern bekannt ist, wurde eine Reihe seiner jungen Zöglinge später zu den brutalsten und berühmtesten Gangster-Bossen der USA: Lucky Luciano, Meyer Lansky, Bugsy Siegel, Frankie Yale oder Al Capone.
So kam die Mafia in die USA
Am 17. Januar 1920 machten die USA ihnen dann ein Riesengeschenk. Sie verhängten die Prohibition. Alkohol war plötzlich illegal. Problem: Die Nachfrage nach „Booze“ war in der Ära, in der sich die Große Depression anbahnte, unersättlich.
Es war die Geburtsstunde eines gigantischen Schwarzmarktes.
Zur selben Zeit hatte in Italien der Faschist Benito Mussolini die Macht ergriffen und der heimischen Mafia den Krieg erklärt. Folge: Die Mitglieder der Costa Nostra und Camorra flohen in Scharen in die USA. Sie landeten fast alle in italienischen Vierteln von New York, die bettelarm waren.
Jetzt blühte die amerikanische Mafia auf, sie wurde schnell so groß, dass sie es mit den irischen und jüdischen Gangs aufnehmen konnten, die bis dahin die Straßen der Stadt dominiert hatten. Und sie stellten schnell fest:
Mit dem Schmuggel von Whiskey waren viel mehr Dollars zu machen als mit Schutzgeld-Erpressung oder Glücksspiel.
Es folgte ein blutiger Machtkampf. Frankie Yale erklärte der irischen White Hand Gang in New York den Krieg. Al Capone und seine Familie gingen nach Chicago und mähten mit ihren Maschinenpistolen die irische North Side Gang nieder.
Ende der 20er Jahre gab es dann in New York zwei Fraktionen. Die eine wurde von Joe Masseria angeführt. Die andere gehorchte Salvatore Maranzano. Die beiden lieferten sich einen Krieg. Pech für Masseria: Sein „Untergebener“ Charles „Lucky“ Luciano wechselte die Seite und organisierte für seinen neuen Boss die Ermordung seines alten Bosses.
„Ich bin jetzt der Boss der Bosse“, erklärte Maranzano daraufhin und gründete die fünf Familien New Yorks: Lucchese, Gambino, Bonanno, Genovese und Colombo. Sie sind bis heute der Kern der amerikanischen Mafia.
1933 versiegte dann ihre beste Einnahme-Quelle. Die Prohibition war gescheitert und wurde abgeschafft. Es war das Ende vieler Familien, die sich inzwischen von New York aus nach Chicago, Boston, Philadelphia, New Jersey, New Orleans und sogar bis nach Florida und Las Vegas ausgebreitet hatten.
Die Mafia steigt in den Drogenhandel ein
Doch die cleveren Bosse reagierten auf die neue Situationen. Sie griffen nun nach den Gewerkschaften Amerikas, gingen ins boomende und tief korrupte Baugeschäft von New York und die begannen, mit illegalen Drogen zu handeln.
Lucky Luciano brachte die Mafia dann auf das nächste Level und gründete die Kommission. Statt einen Boss der Bosse sollte es nun ein Syndikat geben, in dem jeder Boss der mächtigsten Familien dieselbe Stimme hatte. Die Kommission stimmte über Gebiete ab und schlichtete Streitereien der Familien.
Lucianos Botschaft an die anderen: „Die Welt verändert sich und für diejenigen, die bereit sind, sich mit den Stärkeren und Erfahreneren von uns zu verbünden, wird es neue Möglichkeiten geben.“
Mitte des 20. Jahrhunderts gab es schliesslich 26 Familien, die von der Kommission anerkannt worden waren. Jede von ihnen (mit Ausnahme der fünf New Yorker Familien) operierte in einer eigenen Stadt.
Luciano lockerte zudem die Regel von Maranzano auf und arbeitete nicht mehr ausschließlich mit Italienern, sondern auch mit jüdischen Verbrecher-Organisationen, um die Profite zu maximieren. Er bestand jedoch darauf, die strikten Gesetze der sizilianischen Mafia zu übernehmen.
Das oberste Gebot: der Code des Schweigens.
Wer auch immer mit der Polizei kooperierte, wurde zur „Ratte“ erklärt und zum Abschuss freigegeben.
Ausserdem gab es eine klare Hierarchie:
► Associate: kein Familien-Mitglied, dafür aber ein Mitarbeiter. Drogendealer, Anwalt, Buchhalter, ein korrupter Polizist oder Politiker oder ein Geldwäscher.
► Soldat: Einstiegsrang der Cosa Nostra
► Capo oder Captain: ein Lieutenant, der mehrere Soldaten unter sich hat und das Geld verteilt.
► Consigliere: kein Familien-Mitglied eines Mafia-Bosses, aber einer seiner wichtigsten Berater.
► Under-Boss: zweiter Mann einer Familie, der die Geschäfte übernimmt, falls der Boss im Gefängnis sitzt oder umgebracht wird.
► Boss: der Pate oder Don der Familie, also der Chef, der von allen Geschäften seinen Anteil bekommt.
Erpressung, Streikdrohungen, Geldwäsche
Das Geschäftsmodel der amerikanischen Mafia wurde derweil immer ausgetüftelter. Der genialste Schachzug: das Infiltrieren der Gewerkschaften. Dies erlaubte dem Mob, im Bau-und Abrissgeschäft, in der für Groß-Städte lebenswichtigen Müllabfuhr oder in der Transport- und Textil-Industrie abzukassieren.
Sie erpressten Unternehmen durch Streikdrohungen. Sie setzten Preisabsprachen durch und sie stahlen Rohstoffe auf Baustellen. Und manchmal plünderten sie auch schlicht die Kranken- und Renten-Kassen der Gewerkschaften selbst.
Lucky Lucianos Motto: „Es gibt kein gutes oder schlechtes Geld. Es gibt nur Geld.“
Die fünf New Yorker Familien wurden so mächtig, dass kein grosses Bauprojekt in Manhattan, Brooklyn oder Queens mehr ohne die Zustimmung der Mafia zu realisieren war.
Der andere große Spieler der neuen Mafia war ein Nicht-Italiener. Meyer Lansky (geboren: Meier Suchowlanski. Der Sohn polnisch-jüdischer Einwanderer war wie Lucky Luciano ein Zögling des Ur-Paten Paul Kelly und ebenfalls ein Gründer des „Nationalen Verbrecher Syndikats“ (der Kommission). Er baute ein Glücksspiel-Imperium auf, kassierte Prozente von Casinos in Las Vegas, den Bahamas, Kuba und sogar London.
Ironischer Grund für den Erfolg des ehemaligen Mafia-Buchhalters Lansky: In seinen Establishments wurde absolut ehrlich gespielt. Lansky war so erfolgreich, dass er sich schliesslich eine Schweizer Bank kaufte, um sie für seine Geldwäscherei zu nutzen.
Das FBI nimmt den Kampf gegen die Mafia auf
Die Polizei hatte der Mafia Jahrzehnte lang so gut wie nichts entgegenzusetzen. Ihr fehlten die Ressourcen. Viele Polizisten wurden bestochen. Und wenn es zu Anklagen kam, wurden Zeugen eingeschüchtert. Nicht nur das: Die Behörden wussten nicht einmal von der Existenz der Kommission.
Das änderte sich 1963, als erstmals ein Mafia-Mitglied sang. Joe Valachi war die erste „Ratte“, die mit den Behörden sprach. Er plauderte aus, dass die Familien ein „Nationales Verbrecher Syndikat“ (die Kommission) gegründet hatten. Nun schaltete sich das FBI in die Ermittlung ein.
Und die „Hoover-Boys“, wie die Agenten des Federal Bureau of Investigation nach ihrem Gründer J. Edgar Hoover genannt wurden, sollten bald Erfolge haben. Sie befreiten die Casinos in Las Vegas aus der Hand der Mafia. Doch die Familien setzten ihre Geschäfte unbeirrt fort.
In den späten 70er-Jahren hatte die Mafia ihre Hände in vielen Industrie-Zweigen der amerikanischen Wirtschaft. In allen Großstädten, in denen Gewerkschaften eine Rolle spielten, hatte auch der Mob Einfluss. La Cosa Nostra schreckte nicht davor zurück, große Unternehmen zu erpressen.
Ein anderes Geschäft, das sie für sich entdeckten: Tankstellen. Sie zahlten schlicht keine Steuern und konnten so Benzin preiswerter und gewinnträchtiger als die Konkurrenz verkaufen.
Und sie nutzten italienische Restaurants, um Drogen zu schmuggeln. Allein zwischen 1985 und 1987 hatten sie mit Hilfe der „Al Dente Pizzeria“-Kette Heroin im Wert von 1,65 Milliarden Dollar in die USA geschleust.
Ende der 70er-Jahre wehte der Mafia erstmals ein schärferer Wind entgegen. Die Regierung in Washington hatte ein neues Gesetz gegen erpresserische und korrupte Organisationen erlassen. Nun wurden plötzlich nicht mehr nur einzelne Personen ins Visier der Ermittler genommen, sondern auch diverse Unternehmen, die sie gegründet hatten.
Bis 1990 waren plötzlich 1000 Familien-Mitglieder hinter Schloss und Riegel. Darunter 23 Bosse, 13 Unterbosse und 43 Kapitäne.
Den schwersten Schlag löste jedoch ein anderes Gesetz aus – das „United States Federal Witness Protection Program“. Ein Programm, das Kriminellen Immunität im Gegenzug für Informationen zusicherte.
Das FBI verschaffte den „Ratten“ komplett neue Identitäten, um sie vor Rachemorden zu schützen.
Der erste hochkarätige Mafioso, der einen Deal machte, war Sammy „the Bull“ Gravano, ein Mitglied der Gambino-Familie. Er hatte im Auftrag von John Gotti, die Ermordung des Gambino-Bosses Paul Castellano arrangiert. Gotti wurde daraufhin der neue Pate der inzwischen größten New Yorker Familie und machte Sammy „The Bull“ zur Belohnung zum Underboss.
Gotti hatte eine alte Rechnung mit Castellano offen. Denn der soll bei dem größten Cash-Raub der Welt, dem Lufthansa-Raub aus dem Jahre 1978, nicht fair geteilt haben. Die New Yorker Familien hatten damals aus dem Lufthansa Hangar des JFK Airports sechs Millionen Dollar Bargeld (heutiger Wert: 22 Millionen Dollar) gestohlen. Der Scoop diente später als Vorlage für Martin Scorsese Kult-Film „Good Fellas“.
Fehlender Nachwuchs
Sammy the Bull, einer der todbringendsten Hit-Männer (Auftragsmörder) der Mafia, sollte später erneut zeigen, dass Loyalität nicht seine Stärke war. Als er angeklagt wurde, schloss er einen Handel mit dem FBI ab. Ergebnis: Gravano kam mit einem Jahr davon. Teflon Don John Gotti ging dagegen lebenslänglich hinter Gitter.
Er führte jedoch die Geschäfte der Familie aus dem Gefängnis weiter, während sein Sohn John Gott Junior zum Boss der Gambinos wurde.
Doch die Popularität der Mafia hatte ihren Hochpunkt überschritten. Louis Ferrante, ein ehemaliges Familien-Mitglied kürzlich in einem Interview: „Das Ende der Prohibition, die Legalisierung von Glücksspielen und der leichtere Zugang zu Krediten haben die Eckpfeiler der Cosa Nostra Zug um Zug geschwächt.“ Zudem fehle der Nachwuchs.
Ferrante weiter: „Früher hatten italienische Einwanderer nur wenig Möglichkeiten, Geld zu verdienen. Inzwischen stünden ihnen in den USA längst genauso viele Türen offen wie anderen Einwanderern.“
Und so wurde es nach John Gottis Tod (Kehlkopf-Krebs) ruhig um die italienischen Gangster-Familien. Sein Sohn John Jr. hatte längst die Herrschaft über die New Yorker Mafia verloren. Andere Bosse nahmen ihn nicht ernst. Die Genovese-Familie lehnte es komplett ab, mit ihm Geschäfte zu machen. Und als John Jr. selbst im Gefängnis landete, übernahm sein Onkel Peter Gotti die Gambinos.
Mafia arbeitet im Untergrund weiter
Viele Amerikaner glaubten längst, dass es die Mafia gar nicht mehr gäbe. Das war jedoch ein Irrtum. Sie arbeitete im Untergrund weiter.
US-Staatsanwalt Preet Bharara: „Von Waffen- und Drogenhandel bis Erpressung, Kreditkarten-Betrug oder Brandstiftung, die Mafia hält weiterhin viele Städte von Massachusetts bis Florida als Geisel.“
Und das FBI betont: „Die amerikanischen Maria-Familien bleiben die größte organisierte Verbrechens-Bedrohung unserer Gesellschaft.“
Gegenwärtig gibt es in New York City, Philadelphia und New Jersey noch immer 3000 aktive Mafia-Mitglieder. Roberto Saviano, der mehrere Bücher über die Mafia geschrieben hat:
„Die Mafia ist noch immer eine gewaltige wirtschaftliche Macht, die weiterhin so lange Geld wäscht, bis es legal ist.“
Doch eine Frau von einem der jetzt angeklagten Mafia-Angehörigen meinte lapidar: „Ihr solltet mal sehen, in welchem Zustand das Dach meines Hauses ist. Und dann könnt ihr mir ja mal sagen, wo all das verfickte Geld ist.“
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen