USA-Europa-Vergleich
Dollar top, Euro flop
Das ist natürlich zynisch, doch tatsächlich wächst in den USA die Sorge, dass die Finanznot den Kaliforniern über den Kopf wachsen könnte. "Die Lage in Europa", schreibt der Ökonom Alec Phillips von der Wall-Street-Bank Goldman Sachs in einem kürzlich veröffentlichten Bericht, "legt Vergleiche mit der Situation in den Vereinigten Staaten nahe".
Die "New York Times" beschwor bereits eine "griechische Tragödie", und das "Wall Street Journal" stellte offen die Frage, welcher Staat wohl zuerst die Zahlungsunfähigkeit erklären würde - Griechenland oder Kalifornien.
Voriges Jahr konnte der bevölkerungsreichste US-Staat seine gigantische Haushaltslücke gerade noch stopfen, mit Buchhaltungstricks, Notkrediten und einer Acht-Milliarden-Dollar-Spritze aus Washington. Gouverneur Arnold Schwarzenegger und sein Parlament feuerten Abertausende Lehrer, kürzten Sozialleistungen, schlossen Nationalparks, erhöhten Steuern. Doch schon klafft das nächste Loch im Budget - die Schätzungen reichen von 19,1 bis 19,9 Milliarden Dollar. Jetzt bettelt Schwarzenegger erneut um Staatshilfe aus Washington. Gleichzeitig haben die Kalifornier gegen eine höhere Grundsteuer gestimmt - damit hat der Staat kaum noch Möglichkeiten, seine Einnahmen zu steigern.
Kalifornien ist viel leistungsfähiger als Griechenland
Natürlich spielt der sonnige US-Staat in einer anderen Liga als Griechenland. Die wirtschaftliche Gesamtleistung beträgt locker das Siebenfache von der des Mittelmeerstaates. Und die kalifornischen Schulden belaufen sich nur auf zehn Prozent der Wirtschaftsleistung. Dies ist wenig im Vergleich zu Griechenland: Hier entspricht der Schuldenstand 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Andererseits gibt es große Gemeinsamkeiten. Denn rein statistisch ähneln sich die EU und die USA verblüffend:
- Das Bruttoinlandsprodukt der Europäer betrug 2009 umgerechnet rund 14,5 Billionen Dollar, das der USA 14,3 Billionen Dollar.
- Euro und Dollar galten lange als fast gleichwertige Leitwährungen.
- Die Folgen der Kreditkrise sind in beiden Währungsräumen fast identisch, wenn auch leicht zeitversetzt.
Der Grund ist ein entscheidender Unterschied: In den USA gibt es eine starke Zentralregierung, in Europa nicht. Die EU ist nur eine Wirtschafts- und Währungsunion, keine politische Union wie die US-Bundesstaaten - mögen manche auch die Vision der "Vereinigten Staaten von Europa" beschwören. Damit haben die USA gegegenüber Europa einen riesigen Vorteil.
Washington ist mit den Regierungen der Bundesstaaten viel enger verbunden als Brüssel mit den EU-Ländern. Zentrale Regierungsfunktionen der Bundesstaaten - Bildung, Gesundheit, Infrastruktur, Justizwesen - finanziert Washington mit. Und toleriert schweigend, dass einzelne Staaten bisweilen ein paar Millionen abzweigen, um Haushaltslöcher zu stopfen.
Diese Nachsicht sorgt dafür, dass die globalen Finanzmärkte nicht gleich ausflippen, wenn ein US-Bundesstaat in die Krise schlittert.
In Europa dagegen ist das Miteinander der Mitgliedstaaten von nationalen Reflexen geprägt. Brüssel wird nur als bürokratische Instanz wahrgenommen - da ist uneigennützige Hilfe schwer zu vermitteln. Die europäische Identität ist eben nicht so ausgeprägt wie die amerikanische.
Washington wird alles tun, um den Ernstfall zu verhindern
So gibt es in den USA auch klare Gesetze, die als Sicherung gegen den "worst case" dienen sollen. Die Pleite eines einzelnen Bundesstaats ist demnach ausgeschlossen. Eine Vorschrift, die aus der Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre stammt, sieht vor, dass die Zentralregierung einspringt, wenn es einem Staat nicht gelingt, seinen Haushalt auszugleichen. Im vergangenen Jahr zum Beispiel gestand Washington den Bundesstaaten allein 140 Milliarden Dollar aus dem Konjunkturpaket zu. Europa hingegen leistete sich eine monatelange Hängepartie, als es um die Hilfen für Griechenland ging.
Was also geschieht, wenn Kalifornien seine Rechnungen tatsächlich nicht zahlen kann? Im Notfall, erklärt Bill Watkins, der Chef des Centers for Economic Research and Forecasting, dürfte ein staatlicher Finanzverwalter die Zügel übernehmen. Wie ein Insolvenzverwalter könnte er drastische Sparmaßnahmen verordnen. Ein Schock für die Märkte wäre dies trotzdem - weswegen man davon ausgehen kann, dass Washington alles tun wird, um diesen Fall zu vermeiden.
Allerdings gibt es immer wieder Stimmen, die Washington auffordern, sich aus der Haushaltspolitik der Bundesstaaten herauszuhalten. Denn die US-Regierung steckt mittlerweile selbst tief im Schuldenloch. Schon 2008 titelte die konservative Boulevardzeitung "New York Post": "Kauft die Staaten nicht frei. Die Verschwender haben sich selbst reingeritten."
Hawaii kann sich nur Briefwahl leisten
Wie ernst die Lage ist, zeigt eine Untersuchung des Center on Budget and Policy Priorities. Es identifizierte 48 US-Staaten mit Finanzlücken (siehe Grafiken oben in der Fotostrecke): In den kommenden zwei Haushaltsjahre summieren sich die Löcher demnach auf rund 300 Milliarden Dollar. Die einzigen zwei Staaten, die solide Haushalte aufweisen: Montana und North Dakota.
Groteske Beispiele für ihre Finanznot liefern fast alle Bundesstaaten:
- Hawaii ist so arm, dass es sich die Nachwahl für einen vakanten Kongresssitz nur leisten kann, weil unerwartet 1,3 Millionen Dollar frei wurden. Und auch jetzt darf es nur eine Briefwahl sein - Wahllokale wären zu teuer.
- Oregon hat gerade noch genug Geld, um sich über die kommenden zwei Jahre zu retten.
- Arizona erwägt, die staatliche Krankenversicherung für Kinder abzuschaffen.
- South Carolina will als erster Staat sämtliche Gelder für HIV- und Aidsprogramme streichen.
source: spiegel
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