Oscar 2010
Pragmatisch, bombig, gut
In Kathryn Bigelows Kriegsfilm "The Hurt Locker" kommt es auf jede Bewegung an: Jedes hastige Atmen, jeder unüberlegte Handgriff kann zur Explosion und zum sofortigen Tod führen. Bombenentschärfer William James, gespielt von Jeremy Renner, muss sich also Zeit lassen. Und aus diesen quälend langen Momenten der Ungewissheit, ob die Ladung hochgeht, ob Mensch über Höllenmaschine siegt, bezieht der Film seine an den Nerven zerrende Spannung."The Hurt Locker" (deutsch: "Tödliches Kommando") wurde jetzt im Kodak Theatre am Hollywood Boulevard von der Oscar-Academy zum besten Film des vergangenen Jahres gewählt. Allerdings hätte man das beinahe gar nicht mitgekriegt, denn die 82. Oscarvergabe am Sonntagabend wirkte besonders zum Ende hin so gehetzt, als hätte der ausstrahlende US-Sender ABC mit Abschaltung des Live-Feeds gedroht, falls die Show länger als die verabredeten dreieinhalb Stunden laufen sollte. Laudator Tom Hanks machte sich kurz vor Schluss nicht mehr die Mühe, alle zehn Nominierten in der Kategorie "Bester Film" vorzulesen: Er riss einfach den Umschlag auf und las den Gewinner vor. Spannung erzeugen geht anders. Frau Bigelow hätte da sicher so einige dramaturgische Tricks parat gehabt.
"Ich hoffe, ich bin nur die erste von vielen"
Aber man will gar nicht zu viel über die mäßig lustige, im Mittelteil wie üblich durchhängende, am Ende zu hastige Oscar-Show meckern. Denn auch wenn es in der Vergangenheit glamourösere Verleihungen gegeben haben mag, so waren die Entscheidungen der knapp 6000 Academy-Mitglieder selten so erfreulich - und historisch.
Denn das im Vorwege beschworene Duell zwischen "Avatar"-Regisseur James Cameron und seiner Ex-Ehefrau Kathryn Bigelow fand glücklicherweise nicht statt: Von neun Nominierungen konnte Camerons 3-D-Spektakel nur drei einlösen, allesamt in den erwartbaren Technik-Kategorien. Bigelows "Hurt Locker" indes gewann sechs Oscars, neben drei Ton- und Schnitt-Preisen auch noch den Oscar für das beste Originaldrehbuch, den besten Film und die beste Regie.
"This is a moment of a lifetime", sagte Kathryn Bigelow, als sie ihre goldene Statue entgegen nahm. Tatsächlich ist es ein großer Moment: Die 58-Jährige ist die erste Frau in der Geschichte der Oscars, die den Preis für die beste Regie gewonnen hat. Auch wenn Bigelow ("Gefährliche Brandung", "Strange Days") eine Frau ist, die bevorzugt harte Männerfilme dreht, ist ihr Sieg ein Triumph der weiblichen Perspektive in der immer noch von Männern dominierten Hollywood-Welt. Vor ihr waren erst drei andere Frauen nominiert, nur eine von ihnen Amerikanerin: Lina Wertmüller, Jane Campion und Sofia Coppola. "Ich hoffe, ich bin nur die erste von vielen", sagte Bigelow backstage nach ihrem Gewinn. Diesem Wunsch kann man sich nur anschließen.
Absage an den Eskapismus
Noch aus einem anderen Grund ist die Dominanz von "The Hurt Locker" ein Grund zur Freude. Nachdem die Quoten für die Oscar-Fernsehshow im vergangenen Jahr trotz Musical-Burleske und einem singenden Hugh Jackman als Gastgeber weiter zu wünschen übrig ließen, feilte man am Regelwerk der Preisvergabe und erhöhte die Zahl der als "bester Film" nominierten Produktionen auf zehn. Ziel: Blockbuster wie "The Dark Knight" im vergangenen oder "Star Trek" und "Avatar" in diesem Jahr sollten eine Chance erhalten und die Show wieder spannender für das Massenpublikum machen. Vor allem "Avatar" ist in den vergangenen Wochen zum weltweit erfolgreichsten Film geworden; sich mit der Entscheidung für das weitaus weniger populäre Kriegsdrama "The Hurt Locker" gegen den Sog des Crowd Pleasers zu stemmen, ist mutig und verdient Respekt.
Denn es ist auch eine Entscheidung gegen die Flucht in eine virtuelle Welt, in das naive Schwarzweiß-Denken, das in Camerons buntem Science-Fiction-Western propagiert wird, dessen unbestritten imposante Schauwerte über einen platten Plot hinwegtäuschen. "The Hurt Locker" hingegen bildet mit schmerzhafter Schärfe die Realität ab. Die Botschaft der Academy ist angenehm klar und ohne viel Aufhebens politisch: Da drüben im Irak kämpfen unsere Soldaten in einem schmutzigen Konflikt um ihr Leben. In den staubigen Straßen von Bagdad gibt es keine blau schimmernden edlen Wilden und wenig Hoffnung darauf, dass das Gute am Ende siegt.
Viel mehr Überraschungen gab es dann auch leider nicht. Fast alle Favoriten bekamen ihren Preis: Jeff Bridges ("Crazy Heart") konnte seine fünfte Nominierung als bester Hauptdarsteller endlich in einen Oscar-Gewinn verwandeln und eroberte die Herzen gleich noch einmal mit seiner kieksenden, überraschend ausgelassenen Dankesrede. Publikumsliebling Sandra Bullock, eigentlich eine Komödien-Nudel, war für ihre erste echte Charakterrolle im Sportlerdrama "The Blind Side" nominiert - und gewann erfrischenderweise prompt gegen Oscar-Veteraninnen wie Meryl Streep und Helen Mirren in der Hauptdarstellerinnen-Kategorie.
Christoph Waltz lag mit seiner Darstellung des unheimlich charmanten SS-Offiziers Hans Landa in "Inglourious Basterds" so deutlich vor seinen Mit-Nominierten, dass es ein Affront gewesen wäre, ihm den Oscar nicht zu geben. "That's an Über-Bingo", frohlockte der Österreicher, als er seinen Preis von Penélope Cruz überreicht bekam. Und Mo'Nique, eine weitere vom Spaß-Fach ins Ernste übergewechselte Aktrice, gewann völlig zu Recht den Nebendarstellerinnnen-Preis für ihre Rolle als fiese Mutter in "Precious".
Weniger Altherrenwitz, mehr Tina Fey
Allein in der Kategorie des besten fremdsprachigen Films gibt es Grund zum Murren: Michael Hanekes bedrückendes Vorkriegspanorama "Das weiße Band", ob seiner zeitgeschichtlichen Thematik eigentlich ein klarer Favorit, verlor ausgerechnet gegen den größten Außenseiterkandidaten, die argentinische Murder Mystery "El Secreto de Sus Ojos". Zumindest dem harten französischen Sozial- und Gefängnisdrama "Un Prophète" hätte man diesen Oscar gegönnt.
Blieben noch mehr Wünsche offen?
Vom hochkarätigen Gastgeber-Duo Steve Martin und Alec Baldwin hätte man sich mehr Esprit und bessere Witze erhofft. Stattdessen gab es biedere Stand-up-Routine und ein paar harmlose Sprüche. Wie es anders hätte sein können, machten die Preis-Präsentatoren Tina Fey ("30 Rock") und Robert Downey Jr. in ihrer Laudatio deutlich: Ihre kurze Ansprache enthielt mehr Biss und Witz als die gesamte Moderation von Martin und Baldwin zusammengenommen. Auch Ben Stillers Auftritt als Na'Vi-Wesen aus "Avatar" zählte zu den wenigen Humor-Höhepunkten der Show. Unfreiwillig komisch hingegen wirkte die Performance zu den nominierten Original-Scores: Der irrwitzige Ausdruckstanz zur Musik von "The Hurt Locker" erzeugte eine Bombenstimmung, die so sicher nicht intendiert war.
Aber was soll's: Ein bisschen Langeweile, ein bisschen Erwartbarkeit und übertriebene Eile kann man durchaus in Kauf nehmen, wenn die Mehrzahl der Oscars an die richtigen Filme und Darsteller vergeben wurden. Pragmatische Angelegenheit, diese Oscars. Vielleicht ist das angemessen in diesen nervenaufreibenden Krisenzeiten.
source: focus
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