Apple-Hype
"First iPad sold goes to Bavaria"
Verkäufer im Red-Bull-Rausch, zittrige Fans: Mit immensem Wirbel ging in den USA das iPad an den Start, Apples neuer Tablet-Minicomputer. Tagelang standen manche Fans Schlange, um die ersten Modelle in die Hand zu bekommen. Doch der Enthusiasmus schien gedämpfter als bei früheren Apple-Premieren.Verkäufer im Red-Bull-Rausch, zittrige Fans: Mit immensem Wirbel ging in den USA das iPad an den Start, Apples neuer Tablet-Minicomputer. Tagelang standen manche Fans Schlange, um die ersten Modelle in die Hand zu bekommen. Doch der Enthusiasmus schien gedämpfter als bei früheren Apple-Premieren.
Greg Packer hatte sich alles so schön ausgedacht. Schon am Dienstagvormittag brachte sich der pensionierte Straßenarbeiter mit seinem blauen Klappstuhl vor dem Apple Store an New Yorks Fifth Avenue in Stellung. Vier Tage vorher - nur um an diesem Samstag als allererster Kunde Apples neues iPad in Händen zu halten. "Ich war die Nummer eins, die ein iPhone hatte", prahlte der 46-Jährige vorab. "Jetzt werde ich die Nummer eins mit einem iPad sein."
Doch diesmal kommt alles etwas anders.
Hunderte Fans stehen sich seit Freitag vor dem Apple-Glaskubus in Midtown Manhattan die Füße wund, bei Laune gehalten von Sprechchören und Klatschmärschen. Die Szene gleicht einem Open-Air-Zirkus: Fliegende Händler verhökern iPad-Schutzhüllen, Werber der Zeitung "USA Today" rücken mit Segway-Rollern an. Das Blatt, das eine eigene iPad-App auf den Markt bringt, lässt feuchte Tücher zur iPad-Bildschirmsäuberung verteilen, die jedoch leider auffällig an die englische Urbedeutung des Wortes "pad" erinnern - Damenbinden.
Greg Packer, ganz vorne, gibt Interviews am laufenden Band. Längst ist er hier als "professioneller Schlangesteher" berüchtigt. Als einer, der sich der Publicity wegen schon für alle möglichen Events als Erster angestellt hat: Baseballspiele, Konzerte, Harry-Potter-Bücher. 2007 wartete er an der gleichen Ecke, wo die Fifth Avenue auf den Central Park trifft, mehr als 100 Stunden lang auf das erste iPhone.
Diesmal aber macht Apple ihm einen Strich durch die Rechnung. Als der Laden um punkt neun Uhr früh unter lautem Jubel und den Scheinwerfern Dutzender Kamerateams die Glastüren öffnet, hat der Ansteh-Profi das Nachsehen: Jemand anders darf zuerst rein.
Denn Apple hat zwei Schlangen eingerichtet. Eine für Kunden, die das iPad vorbestellt haben, und eine für "Laufkunden" wie Packer. Dummerweise haben die Vorbesteller Vortritt.
Und die Nummer eins in dieser Parallelschlange ist ausgerechnet ein Deutscher - der Münchener Trech-Blogger Richard Gutjahr, der 20 Stunden lang mit Isomatte und Bayernfahne kampiert hat. "First iPad sold goes to Bavaria", twittert der nach vollbrachtem Kaufakt triumphierend. Der ausgebremste Packer zieht schließlich laut schimpfend von dannen - zwei iPads im Arm.
"Medien…, äh, naja, Marketingstratege"
Trubel, Trauma, Turbulenzen: Wie jeder Produkt-Launch aus dem Hause Apple schwillt auch die iPad-Premiere in den USA zur penibel inszenierten, doch völlig vorhersehbaren Hype. Medien und Fans peitschen sich gegenseitig in Rage, angefeuert von den wackeren Apple-Verkäufern, die wochenlang trainiert wurden, die Verkaufsaktion zum Event zu veredeln.
Zum Beispiel auch am Apple Store im Meatpacking District, Manhattans Trendviertel ein paar Meilen weiter südwestlich. Hier ist die Glasfassade zunächst noch mit schwarzen Tüchern verhängt, die das Apple-Team um 8.45 Uhr unter eher artigem Beifall senkt.
Der Erste in der Schlange ist Scott Bullard, der auf die Frage nach seinem Beruf erst mal ins Stottern kommt und sich dann als "Medien…, äh, naja, Marketingstratege" vorstellt. Der 22-Jährige steht seit dem Vorabend um 18 Uhr an. Warum? "Aus Jux und Dollerei." Als die Tür aufgeht, rennt er mit hochgereckten Fäusten hinein und umarmt den erstbesten Verkäufer.
Jeder Kunde wird von der Spalier stehenden Belegschaft mit rhythmischem Klatschen begrüßt, wie Marathonläufer am 42-Kilometer-Ziel. Die Apple-Leute tragen blaue iPad-T-Shirts, sie haben offenbar zuvor stundenlang Kaffee oder Red Bull getankt, jedenfalls sprühen sie vor Begeisterung, Augen und Münder weit aufgerissen. "Olé, olé-olé-olé", skandieren sie, während die iPad-Fans in den Laden traben. "Let's go, iPad! Let's go, iPad!"
Drinnen ist der Store über Nacht komplett fürs iPad umgebaut worden - iPods, iPhones und Macs sind ins Lager verschwunden, auf den Tischen, in Regalen und an den Wänden prangen ausschließlich iPads. Die ersten zwei (zwei 32-GB-Modelle, je 599 Dollar) gehen an die Nummer zwei in der Warteschlange, Rodrigo Ayala. Der war immerhin schon um ein Uhr nachts da. "Ich bin nun mal ein Apple-Fan", sagt Ayala, einen iPod-Kopfhöhrer im Ohr und sichtlich zitternd. Ob vor Übermüdung oder Begeisterung, ist freilich nicht auszumachen.
Alle PR-Choreografie kann trotzdem nicht darüber hinwegtäuschen: Die Schlangen sind zumindest in New York merklich kürzer als zum Beispiel beim iPhone-Start vor fast drei Jahren, und die Schaulustigen wirken leicht zynischer, von den ganz hartgesottenen Apple-Fans mal abgesehen. "Nett", bekundet Jean Myers, die über die Glasfläche eines iPads streicht, das ihr Freund erstanden hat. "Aber wer braucht's?"
25 Dollar Trostpreis von Apple
Das ist natürlich eine rhetorische Frage. Apple-Chef Steve Jobs ist ein Meister der Kunst, den Leuten Dinge zu verkaufen, die sie eigentlich nicht brauchen, doch ohne die sie dann bald nicht mehr leben können, siehe das iPhone. Das dürfte ihm nun wohl auch mit dem iPad-Tablet gelingen - egal, was die Kritiker sagen.
In allen 221 amerikanischen Apple-Läden sowie bei der US-Handelskette Best Buy ging das an diesem Samstag zeitgleich an den Start. Überall wurden wieder lange Schlagen gemeldet - doch weniger Aufruhr als beim iPhone. Das Drama wirkte unterkühlter als sonst.
Vielleicht auch deshalb, weil viele hier im Kielwasser der iPhone-Hype gemerkt haben, dass es ratsamer ist, auf die zweite Generation zu warten. Oder vielleicht auch deshalb, weil das iPad mit mindestens 499 Dollar nicht billig ist, vor allem in Zeiten wirtschaftlicher Not. Dafür bietet es nichts, was ein iPhone oder ein Powerbook nicht auch bietet - wenn das auch in unvergleichbar besserer Form. "Viel intimer, mehr Spaß", hat Steve Jobs verheißen. "Wir können nicht abwarten, dass die Nutzer es dieses Wochenende in die Hände bekommen."
Dafür hat Apple mal wieder alle Werberegister gezogen - Geheimniskrämerei, Mythenbildung, versteckte Produktplatzierung. Nur acht US-Kritiker bekamen vorab iPads gestellt, darunter die Tech-Experten David Pogue ("New York Times") und Walter Mossberg ("Wall Street Journal"), die sich meist mit Liebeserklärungen revanchierten. Und die neue, populäre Comedy-Serie "Modern Family" des US-Networks ABC strickte vorige Woche sogar eine ganze Folge um das iPad und die Hatz danach.
Trotzdem resultiert der Medien-Buzz wohl nicht unbedingt in gesteigerter Kauflust. Einer Umfrage des Demoskopie-Instituts Zogby zufolge wollen gerade mal acht Prozent der US-Kunden generell ein iPad kaufen. Höher liegt der Anteil freilich bei etablierten Apple-Jüngern wie iPhone-Besitzern (27 Prozent) oder bei eBook-Konsumenten (23 Prozent).
Für Greg Packer, dessen Schlangesteh-Rekord vom iPad gebrochen wurde, gab es am Ende aber doch noch einen Trost. Apple zahlt ihm 25 Dollar, um bei seinen Interviews fortan eine Mütze mit dem Apfel-Firmenlogo zu tragen.
source: spiegel
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