Obama lässt Kongress links liegen
"Informationen" zur Lage der Nation möge er bereitstellen. Und "Maßnahmen" empfehlen, die er für nötig halte. So jedenfalls haben es Amerikas Gründer dem Präsidenten in der Verfassung auferlegt. Als aber Barack Obama mehr als zwei Jahrhunderte später an diesem Dienstagabend vor die beiden Kammern des Parlaments und gut 50 Millionen live zugeschaltete Amerikaner tritt, da hat er mehr im Sinn.
Seine "State of the Union Address" ist in weiten Teilen weniger Empfehlung als Solo. Die Ankündigung von präsidentiellen Alleingängen, insbesondere im Bereich der Arbeitsmarktpolitik. O-Ton Obama:"Ich biete Ihnen heute Abend eine Reihe konkreter, praktischer Maßnahmen an, um das Wirtschaftswachstum zu beschleunigen, die Mittelschicht zu stärken und neue Aufstiegsmöglichkeiten zu schaffen. Einige Vorschläge erfordern parlamentarisches Handeln - und ich bin offen für die Zusammenarbeit mit Ihnen allen - aber Amerika steht nicht still und ich auch nicht. Wo und wann immer möglich, werde ich deshalb ohne Ihre Gesetzgebung die nötigen Schritte unternehmen."
Das ist mal eine Ansage. Im "Wall Street Journal" warnt Tea-Party-Senator Ted Cruz vor "imperialer Präsidentschaft" und "Bedrohung der Freiheit jedes Bürgers". Obama dagegen spricht vom "year of action". Es ist ein aus der Not geborener Strategiewechsel im fünften Jahr seiner Präsidentschaft. Mit dem Wahlsieg 2012 glaubte Obama, den von den Republikanern blockierten Kongress in die Schranken gewiesen zu haben. Weit gefehlt. Ob Einwanderungsreform oder schärferes Waffenrecht - nichts ging voran. Obama hat ein höchst vermurkstes Jahr 2013 hingelegt, inklusive NSA-Affäre.
Deshalb soll diese Regierungserklärung nun den Neustart bringen. Quasi die letzte Chance, das Land doch noch auf Obama-Kurs zu trimmen, bevor sich der Präsident zur lame duck wandelt. Im Weißen Haus haben sie laut "Washington Post" das Motto ausgegeben: Mehr Präsident, weniger Ministerpräsident. Obama habe sich in der Vergangenheit zu sehr wie ein auf parlamentarische Mehrheiten gestützter europäischer Premier verhalten.
Obama will nun mit sozialer Gerechtigkeit punkten, es ist sein Schlussspurt nach links. Damit soll die demokratische Senatsmehrheit bei den Wahlen im November gehalten und vielleicht, wenn es außerordentlich gut läuft, die Mehrheit der Republikaner im Repräsentantenhaus gebrochen werden. 65 Prozent der US-Bürger meinen einer Pew-Umfrage zufolge, dass die Ungleichheit in den letzten zehn Jahren zugenommen habe; unter demokratischen Anhängern erwarten 90 Prozent mehr Initiative vom Staat. Obamas Rede spiegelt dies wider:
- Mindestlohn: Per Rechtsverordnung erhöht Obama im Alleingang den Mindestlohn für Auftragnehmer des Bundes von 7,25 auf 10,10 Dollar pro Stunde. Der Kongress solle nachziehen und den generellen Mindestlohn ebenfalls auf 10,10 Dollar festschreiben.
- Arbeitslosenhilfe: Der Kongress möge die gegenwärtig auf 26 Wochen begrenzte Arbeitslosenhilfe wieder befristet verlängern, so wie es bis Ende letzten Jahres Gesetz war.
- Einwanderungsreform: Nach dem Senat solle nun auch das Repräsentantenhaus zu einer Einigung finden: "Lasst uns das noch dieses Jahr abschließen", so Obama.
- Klimawandel: Er habe seine Regierung angewiesen, gemeinsam mit den Bundesstaaten neue Standards für den CO2-Ausstoß von Kraftwerken zu entwickeln. Ungläubige republikanische Zuhörer lässt Obama wissen: "Der Klimawandel ist Fakt."
- Obamacare: Anders als in den Jahren zuvor widmet Obama seiner umstrittenen Gesundheitsreform dieses Mal ein paar Worte mehr und fordert die Republikaner auf, unproduktiven Widerstand einzustellen. Gerne könne das Gesetz verbessert werden, aber die ständigen Versuche, es nachträglich abzuschaffen, seien sinnlos.
- Waffen: Im vergangenen Jahr stand Obamas Kampf für eine Verschärfung des Waffenrechts im Mittelpunkt der Rede, diesmal spielt das Thema nur eine Nebenrolle. Er werde - "mit oder ohne Kongress" - weiterhin versuchen, weitere Amokläufe zu verhindern.
- Afghanistan, al-Qaida, Guantanamo: Obama würdigt den Ende 2014 anstehenden Abzug der Kampftruppen aus Afghanistan und fordert den Kongress auf, den Transfer der letzten Gefangenen von Guantanamo zu ermöglichen, um das Lager noch in diesem Jahr zu schließen. Die von al-Qaida ausgehenden Gefahren schätzt der Präsident offenbar höher ein als 2013; damals sagte er, das Terrornetzwerk sei nur noch "ein Schatten seiner selbst". Nun heißt es, al-Qaida-Filialen in unterschiedlichen Teilen der Welt(Jemen, Somalia, Irak, Mali) hätten sich zur Gefahr entwickelt.
- Iran: Erneut wirbt der Präsident darum, während der laufenden Atom-Verhandlungen keine neuen Sanktionen zu beschließen. Er werde sie in jedem Fall per Veto stoppen, so Obama.
- NSA, Drohnen: Obama hatte bereits in der vorvergangenen Woche seine Grundsatzrede zur NSA-Reform gehalten, um das Thema abzuräumen. Jetzt sagt er nur, die Überwachungsprogramme würden reformiert. Und die Einsätze von Drohnen habe er ja bereits limitiert: "Amerika darf nicht dauerhaft auf dem Kriegspfad sein."
Seine konkreten Ankündigungen zu Alleingängen wirken im Einzelfall klein: Mindestlohn, neue Energieeffizienz-Standards, vier neue Innovationszentren für die Industrie, Überprüfung des US-Ausbildungssystems, neue Möglichkeiten zur privaten Rentenvorsorge. Doch das Gesamtbild zählt.
Barack Obama kämpft jetzt um sein Erbe. Mit oder ohne Parlament.
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