USA: Im Land der begrenzten Möglichkeiten
Amerikanischer Traum? Wer als Unternehmer ein Büro in den USA aufmachen will, erlebt eher einen Albtraum. / Bild: Reuters
In den USA sind tüchtige Unternehmer willkommen? Von wegen. Für Moritz Plassnig, Gründer der Wiener IT-Firma Codeship, geriet der Einstieg zum bürokratischen Spießrutenlauf. Und damit ist er nicht allein.
Der amerikanische Traum beginnt in Kirchbach. Dort unten in der Südsteiermark hätte er auch schon bald wieder enden können, wäre Moritz Plassnig nicht eine Kombination aus schlauem Kopf und Dickschädel – also der geborene Unternehmer. So aber leitet der spitzbübisch wirkende 26-Jährige mittlerweile eine IT-Firma auf zwei Kontinenten und in drei Zeitzonen, mit über 20 Mitarbeitern und 4,4 Millionen Dollar von Investoren im Gepäck. Aber für den Sprung über den großen Teich musste er so viel Anlauf nehmen, dass die meisten anderen seines Alters längst aufgegeben hätten.
Der amerikanische Traum: Dazu gehört doch, dass jeder willkommen ist, der gute Ideen hat und sie tüchtig umsetzt? Von wegen. Die Realität einer paranoiden Großmacht sieht anders aus – zumindest, bis man es ins Gelobte Land geschafft hat.
Das zeigt Plassnigs Geschichte. Das Programmieren lernte er auf der HTL. Sein Wirtschaftsstudium hängte er bald für die Praxis an den Nagel. Mit 21 gründeten er und zwei Partner Codeship. Ein Internet-Start-up, aber nicht eines von den vielen, die albern-verspielte Apps entwickeln. Es geht um ein hartes Geschäft mit anderen Firmen: das automatisierte Testen und Ausrollen neuer Software-Versionen. Microsoft, IMB, HP: Sie alle bieten großen Kunden dieses Service an. Aber dabei haben sie einen Trend übersehen: das Cloud Computing. Die „Wolke“ erlaubt, Daten via Internet auszutauschen. Das eröffnet auch in diesem Feld Chancen für neue Anbieter. Eine Handvoll Davids fordern die Goliaths heraus. Codeship ist vorn dabei und könnte den Wettlauf gewinnen.
500 Seiten Antrag. Aber rasch wurde Plassnig klar: Kapitalgeber für seine großen Pläne findet er nur in den USA. Also zog er mit seinem Schulenglisch los, um in Boston ein Büro aufzumachen. Vorerst allein, sein Team ließ er in Wien zurück. Das erregte das Misstrauen der Einwanderungsbehörde. „Mein Antrag war ein Riesenstapel Papier, an die 500 Seiten“, erzählt er der „Presse am Sonntag“. Alles musste er nachweisen: die Struktur seiner Firma, ihre wirtschaftliche Lage, Fotos vom Büro, Businesspläne, Personalpolitik. Er sollte beweisen, dass er über spezielles Wissen verfügt, das er nur durch seine Arbeit erlangen konnte. Die Beamten unterstellten ihm: „Du hast deine Firma nur gegründet, damit du das Visum bekommst.“ Ihr Generalverdacht, wie Plassnig ihn erlebte: „Jeder probiere irgendwie, sich in die USA einzuschleichen.“ Sein Antrag wurde prompt abgeschmettert. Also: ein neuer Anlauf. „Man wartet ewig.“ Denn „der Prozess ist extrem schlampig, langsam und manuell“. Es gab zwar ein Milliardenprojekt von Präsident Obama, das System zu digitalisieren. „Aber alles, was dabei herausgekommen ist, war ein einziges Onlineformular – und das hat nicht funktioniert.“
500 Seiten Antrag. Aber rasch wurde Plassnig klar: Kapitalgeber für seine großen Pläne findet er nur in den USA. Also zog er mit seinem Schulenglisch los, um in Boston ein Büro aufzumachen. Vorerst allein, sein Team ließ er in Wien zurück. Das erregte das Misstrauen der Einwanderungsbehörde. „Mein Antrag war ein Riesenstapel Papier, an die 500 Seiten“, erzählt er der „Presse am Sonntag“. Alles musste er nachweisen: die Struktur seiner Firma, ihre wirtschaftliche Lage, Fotos vom Büro, Businesspläne, Personalpolitik. Er sollte beweisen, dass er über spezielles Wissen verfügt, das er nur durch seine Arbeit erlangen konnte. Die Beamten unterstellten ihm: „Du hast deine Firma nur gegründet, damit du das Visum bekommst.“ Ihr Generalverdacht, wie Plassnig ihn erlebte: „Jeder probiere irgendwie, sich in die USA einzuschleichen.“ Sein Antrag wurde prompt abgeschmettert. Also: ein neuer Anlauf. „Man wartet ewig.“ Denn „der Prozess ist extrem schlampig, langsam und manuell“. Es gab zwar ein Milliardenprojekt von Präsident Obama, das System zu digitalisieren. „Aber alles, was dabei herausgekommen ist, war ein einziges Onlineformular – und das hat nicht funktioniert.“
Andere Einreisewillige mögen es leichter haben. Es gibt Visa für Investoren, die viel Geld mitbringen, oder für Wissenschaftler. Und natürlich das Visum für Schlüsselarbeitskräfte, also Spitzenleute. Aber dafür bewerben sich mehr, als der amerikanische Staat aufnehmen will, weshalb eine Lotterie bestimmt, wer sie bekommt. „Darauf kann man sich nicht verlassen“, erklärt Plassnig. Also blieb für seine Firma nur das „Intracompany“-Arbeitsvisum zum temporären Transfer von Mitarbeitern zwischen Standorten. Nur dass sich in diesem Fall zuerst einmal der Chef selbst an einen neuen Standort versetzte. Das ist nur „theoretisch“ möglich, schreibt die deutsche Auswandereragentur The American Dream auf ihrer Website. Generell warnt die erfahrene und mehrfach ausgezeichnete Organisation bei dem Visum vom Typ L-1 alle kleineren Firmen vor einem „zeit- und kostenintensiven Verfahren, das schwierig und häufig von Ablehnungen betroffen ist“.
Irgendwann, irgendwie hat es Plassnig dann trotz allem geschafft. Jetzt aber wiederholt sich die mühselige Prozedur mit jedem Mitarbeiter, den er für einige Zeit nach Boston holen will. Alex Tacho etwa hat in Wien das Produkt von Codeship entwickelt. Dennoch musste er sein „unternehmensinternes Spezialwissen“ aufwendig nachweisen, indem er den E-Mail-Verkehr mit seinem Chef und andere interne Dokumentationen vorlegte.
Beim Programmierer Benjamin Fritsch dauerte es fast ein Jahr. Er hatte schon die Möbel seiner Wiener Wohnung verkauft und soeben geheiratet, als ihn die erste Ablehnung überraschte. Es folgten: Verunsichertes Warten von Monat zu Monat, Verzicht auf jeden Urlaub, neuerliche Ablehnung – bis es beim dritten Versuch ein halbes Jahr später endlich klappte.
In Europa willkommen. Bei jeder Einreise wiederholt sich das gleiche, zermürbende Zeremoniell: ein erstes Interview, das die Polizisten misstrauisch macht. Ein zweites Interview im „Verhörraum“, aufgezeichnet und mit Zeugen, vor bewaffneten Fragestellern. Der Ausgang ist jedes Mal höchst ungewiss.
In Europa willkommen. Bei jeder Einreise wiederholt sich das gleiche, zermürbende Zeremoniell: ein erstes Interview, das die Polizisten misstrauisch macht. Ein zweites Interview im „Verhörraum“, aufgezeichnet und mit Zeugen, vor bewaffneten Fragestellern. Der Ausgang ist jedes Mal höchst ungewiss.
Kurt Lojka etwa wollte für ein paar Wochen kommen, zuerst im Bostoner Büro mithelfen und anschließend Urlaub machen. Aber mit seinem Businessvisum durfte er nur Kunden besuchen oder auf Konferenzen gehen. Als man ihn nach seinen Plänen für seinen US-Aufenthalt befragte, nahm er fatalerweise das Wort „Arbeit“ in den Mund. Sofort wurde er in den Flieger retour nach Wien gesetzt – ohne seine Freundin. Sie wollte in der Zwischenzeit einen Sprachkurs machen und wurde beim Schalter nebenan durchgelassen. So reißt die Bürokratie auch Paare auseinander.
Für Plassnig steckt hinter all dem auch die Angst, Fremde könnten den Einheimischen den Job wegnehmen. „Selbst wenn man viel Steuern zahlt und dafür sorgt, dass es auch mehr Arbeitsplätze für Amerikaner gibt.“ Der Vergleich macht ihn sicher: Der umgekehrte Weg, von den USA nach Europa, „ist um einiges leichter“. Mit der Rot-Weiß-Rot-Card in Österreich hat er für seine US-Mitarbeiter gute Erfahrungen gemacht. Und eine amerikanische Programmiererin zum Arbeiten nach Berlin zu bringen war überhaupt „super einfach“.
Sichtvermerk reicht nicht. Unter den Mühen, ein Visum für die USA zu bekommen, leiden aber nicht nur Jungunternehmer und ihre Mitarbeiter. Auch hoch qualifizierte Wissenschaftler ringen bisweilen mit der amerikanischen Einwanderungsbürokratie. „Am Anfang muss man sicherheitshalber schon ein Jahr vor Antragstellung alle Dokumente zusammensuchen“, sagt Elisa Arthofer. Die Doktorandin an den National Institutes of Health in Bethesda bei Washington musste, um ihr akademisches Visum des Typs J-1 beantragen zu können, einem Schlüsselformular ein Dreivierteljahr lang nachlaufen.
Sichtvermerk reicht nicht. Unter den Mühen, ein Visum für die USA zu bekommen, leiden aber nicht nur Jungunternehmer und ihre Mitarbeiter. Auch hoch qualifizierte Wissenschaftler ringen bisweilen mit der amerikanischen Einwanderungsbürokratie. „Am Anfang muss man sicherheitshalber schon ein Jahr vor Antragstellung alle Dokumente zusammensuchen“, sagt Elisa Arthofer. Die Doktorandin an den National Institutes of Health in Bethesda bei Washington musste, um ihr akademisches Visum des Typs J-1 beantragen zu können, einem Schlüsselformular ein Dreivierteljahr lang nachlaufen.
Und wenn man den Sichtvermerk im Pass hat, muss man bei der Einreise in die USA trotzdem ständig mit unangenehmen Fragen rechnen: „Die wollen bei der Immigration dann wissen, warum man hier ist, und ganz genau, was man macht, obwohl sie sicher keine Ahnung von biologischen Labors haben“, wundert sich Arthofer.
Der Harvard-Absolvent Martin Wallner kennt dieses Gefühl. Mit seinem Start-up Macro House richtet er in Austin, Texas, speziell auf Technologiearbeiter zugeschnittene Gemeinschaftswohnungen ein. Derzeit müht er sich durch den Visumsprozess für einen anderen Österreicher, den er als Geschäftspartner an Bord und in die Vereinigten Staaten holen will. „In Summe kostet ein Visumsantrag rund 5000 Dollar. Das ist nicht so die Hürde, sondern eher die Ungewissheit, ob der Antrag angenommen wird“, sagt er.
Wallner hat sein aktuelles H1B-Visum im vergangenen Jahr erhalten. Er ist damit in einer beneidenswerten Lage. Denn um diese jährlich 85.000Aufenthaltstitel für ausländische Schlüsselarbeitskräfte, die unter den Bewerbern verlost werden, hat sich in jüngster Vergangenheit ein scharfer Wettbewerb entwickelt.
Das liegt nicht nur daran, dass sich die amerikanische Volkswirtschaft (genauer: jene Sparten, die hoch qualifizierte Arbeitskräfte verlangen) nach der Finanzkrise so schnell erholt hat. Die H-1B-Visa sind in erster Linie deshalb schon kurz nach Beginn der Beantragungsfrist am 1. April vergriffen, weil große Outsourcingunternehmen das System missbrauchen. Sie stellen sofort nach Beginn der Bewerbungsfrist Tausende Anträge auf einmal. Damit werden IT-Ingenieure aus Fernost in die USA geschickt. Dort studieren sie jene Jobs, die sie nach der Auslagerung (zumeist nach Indien) anstelle der gekündigten amerikanischen Arbeitnehmer besetzen. Im Jahr 2013 waren solche Outsourcingkonzerne – allen voran Infosys, Tata Consultancy Services und HCL America – sechs der zehn Unternehmen mit den meisten genehmigten H-1B-Visa. Im Jahr darauf waren sie 13 der Top 20. Diese 20 Firmen heimsten allein 32.000Visa ein. Das waren 40 Prozent aller in diesem Jahr verfügbaren H-1B-Visa. Auf diese Weise verloren zum Beispiel 250 IT-Arbeitnehmer des Vergnügungsparks Disneyworld in Orlando, Florida, im Herbst 2014 ihre Stellen.
Großer Reformbedarf. „Im Großen und Ganzen ist der ganze Prozess sehr mühsam und sollte schnellstmöglich reformiert werden“, sagt Wallner. „Jedes Technologieunternehmen in den USA hat damit Probleme. Denn es gibt in den USA allein nicht genug viele gute Leute, und man braucht den globalen Pool an Talenten.“
Großer Reformbedarf. „Im Großen und Ganzen ist der ganze Prozess sehr mühsam und sollte schnellstmöglich reformiert werden“, sagt Wallner. „Jedes Technologieunternehmen in den USA hat damit Probleme. Denn es gibt in den USA allein nicht genug viele gute Leute, und man braucht den globalen Pool an Talenten.“
Auch Jungunternehmer und Programmierer aus Wien. Moritz Plassnig kann heute, nach vollbrachter Tat, über die USA so wie einst Frank Sinatra über New York singen: „Wenn du es hier schafft, dann schaffst du es überall.“ Aber „it's up to you“? Wem es nicht gelingt, im Land der bürokratisch begrenzten Möglichkeiten sein Glück zu machen, der scheitert oft schon am Übermut der Ämter.
Zur Person
Moritz Plassnig (26) ist Mitgründer von Codeship, einem Wiener Softwareunternehmen. Er arbeitet seit drei Jahren von seinem Büro in Boston aus.
Codeship hat eine Software entwickelt, die es den Programmierern von Webseiten und Apps massiv erleichtert, neue Versionen zu testen und einzuführen. Das Unternehmen hat über 2000 Kunden, von Ein-Mann-Firmen bis zu börsenotierten Konzernen.
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