Todesfälle im Grand Canyon
Volles Risiko am Abgrund
..wagen Wanderungen in der berühmten Schlucht - viele unterschätzen allerdings die Gefahren. |
"Das Buch soll den Leuten sagen: Seht zu, dass euch das nicht passiert!", sagen die Autoren über ihr Werk. |
Wie auf einem anderen Planeten: Der Grand Canyon gilt als eine der Top-Sehenswürdigkeiten weltweit. |
...bietet die Ödnis einige Gefahren, die häufig unterschätzt werden. Wer zu wenig Wasservorräte mitnimmt oder seine Kräfte überschätzt |
Zum Beispiel diesen abgesicherten "Skywalk", von dem man mehr als tausend Meter in die Tiefe zum Colorado River blicken kann. |
Wer am Grand Canyon ein paar Schritte entlang des Bright Angel Trail macht, der sieht sie: Leute, die mit Flipflops und Spaghettiträger-Shirt den vielbegangenen Pfad hinabstapfen, um einen Eindruck vom Inneren der berühmten Schlucht zu bekommen. Vielen wird später klar, dass der Anfang der Wanderung der leichte Teil ist - erst nach der Umkehr gilt es, aufzusteigen. Man nennt den Canyon im Norden Arizonas nicht umsonst einen inversen Berg, der dem Wanderer erst auf dem Rückweg das Größte abverlangt.
Jedes Jahr verlieren hier mehrere Menschen auf Wanderungen ihr Leben. Die Canyon-Kenner Michael Ghiglieri und Tom Myers dokumentieren in ihrem Buch "Over the Edge - Death in Grand Canyon" diese Tragödien. Jetzt, in der Sommersaison, beginnt mal wieder die gefährlichste Zeit am Grand Canyon.
Das 445 Kilometer lange Naturwunder, an dessen westlichem Ende der Grand Canyon Nationalpark liegt, ist seit Menschengedenken ein Magnet für Outdoor-Liebhaber. Annähernd fünf Millionen Besucher zählt der Park jährlich, die meisten werfen bloß einen Blick von der Südkante in die spektakuläre Schlucht. Etwa 40.000 allerdings wagen sich auf die Wanderwege, die von der Kante hinabführen und zu den spektakulärsten auf dem Planeten zählen.
Deutsche sind nach Amerikanern und Kanadiern die zahlenstärkste Gruppe auf diesen Pfaden. Mehr als 20.000 Menschen pro Jahr durchmessen den Canyon außerdem per Boot auf dem wilden Colorado River zwischen dem Glen Dam bei Page und dem Lake Mead nahe Las Vegas.
Vier Liter Wasser pro Tag
Die Grundregeln für eine Canyon-Wanderung sind schlicht und an der Südkante im Park überall angeschlagen: Sonnenschutz-Kleidung, festes Schuhwerk und vier Liter Wasser pro Tag, außerdem sollten eine topografische Karte, reichlich salzhaltige Nahrung und eine Taschenlampe unbedingt dabeisein. Es wird empfohlen, nicht allein zu gehen und jemanden über Ziel und geplante Dauer der Wanderung zu benachrichtigen, damit im Notfall Rettung möglich ist. Dass trotzdem immer wieder Menschen in dieser unbarmherzigen Wildnis stranden und umkommen, beschäftigt die beiden Autoren. "Wir haben dieses Buch als eine Art Epidemiologie der Tragödien geschrieben", sagt Ghiglieri. "Es soll den Leuten sagen: Seht zu, dass euch das nicht passiert!"
Seit den Schürfertagen Mitte des 19. Jahrhunderts sind nach Ghiglieris und Meyers Recherchen fast 700 Menschen in der meilentiefen Schlucht im amerikanischen Südwesten umgekommen. In den allermeisten Fällen, sagt Tom Myers, medizinischer Direktor des Nationalparks und selbst passionierter Wanderer, sind Fehleinschätzungen und mangelndes Wissen schuld. "Unvorhergesehene Umstände können immer eintreten, aber wer gut vorbereitet ist, kann die meist entschärfen."
Myers und Ghiglieri, letzterer besitzt einen Doktortitel in Ökologie und führt seit 30 Jahren Colorado-Wildwasserfahrten, wissen, wovon sie reden - sie sind selbst schon in brenzlige Situationen geraten. Ghighlieri verfing sich mit einem Fuß in einem gekenterten Floß auf dem Colorado und konnte sich erst in letzter Sekunde vor dem Ertrinken retten. Myers war dem Verdursten nah, als ihm auf einer Solowanderung beim Routensuchen das Wasser ausging.
Besucher unterschätzen die Wildnis
2009 ließen neun Wanderer im Grand Canyon ihr Leben, das seit langem tödlichste Jahr, wie Myers sagt. Schuld waren Auszehrung, lebensgefährlicher Wassermangel oder fatale Stürze beim verzweifelten Versuch, eine Abkürzung zum Fluss zu finden.
1996 versuchte Myers vergeblich, einen Zehnjährigen wiederzubeleben, der an einem Julitag gutgelaunt den elf Kilometer langen Pfad zum Fluss hinabgehüpft war und mit einem Hitzschlag tot zusammenbrach - in seiner Aufregung hatte er vergessen, unterwegs zu trinken.
Im Juli 2004 starb die 24-jährige Marathonläuferin Margaret Bradley auf einem Rundlauf durch den Canyon, zu dem sie mit nur zwei Litern Wasser und ohne Karte gestartet war. Ende September 2010 brach ein 30-Jähriger zusammen, der nach einer durchzechten Nacht mit Freunden zu einer drei Kilometer langen Tour zum Fluss aufgebrochen war - er musste auf der Hälfte umkehren und starb 100 Meter vor dem Parkplatz an einem Hitzschlag. "Man unterschätzt die Wildnis und überschätzt die eigenen Fähigkeiten leicht", sagt Myers.
Kein Disneyland im Freien
Der Grand Canyon ist eine feindselige Landschaft mit Temperaturen, die im Sommer auf 45 Grad Celsius im Schatten klettern und im Winter unter den Gefrierpunkt fallen. Sommerliche Monsunregenstürme lösen reißende Springfluten aus, das Gelände abseits der Pfade, von losem Gestein und steilen Klippen durchwirkt, ist eine Herausforderung auch für erfahrene Wanderer.
Ranger im Nationalpark beklagen oft, dass viele Besucher die erbarmungslose Wildnis gern als eine Art Disneyland wahrnehmen. "Leute klettern über Absperrungen und stürzen ab", sagt Michael Ghighlieri. Die größte Risikogruppe seien nicht etwa Alte oder Kinder, sondern junge Männer, die sich zu viel zutrauen.
Die Schlangen, Skorpione und Taranteln dagegen, die die Ängste vieler Canyon-Besucher derart beflügeln, dass Gighlierei und Myers den Viechern in der eben erschienenen zweiten Auflage ihres Buchs ein neues Kapitel gewidmet haben, sind vergleichsweise harmlos. An Schlangenbissen oder Skorpionstacheln ist dort bisher noch niemand gestorben.
"Unsere Kultur ist mit einer erstaunlichen Fehlwahrnehmung geschlagen, wenn es darum geht, womit wir vorsichtig sein sollten, und worum wir uns tatsächlich Sorgen machen", sagt Ghiglieri. Am Grand Canyon kann das tödlich sein. "Vielleicht", schlägt er vor, "sollte man das Wort ,Park' streichen und durch ,Wildnis' ersetzen, damit die Leute nicht das Gefühl einer kontrollierten, abgesicherten Umwelt haben - nicht einmal mit dem gesamten amerikanischen Militärhaushalt könnte man den Grand Canyon idiotensicher machen."
Jedes Jahr verlieren hier mehrere Menschen auf Wanderungen ihr Leben. Die Canyon-Kenner Michael Ghiglieri und Tom Myers dokumentieren in ihrem Buch "Over the Edge - Death in Grand Canyon" diese Tragödien. Jetzt, in der Sommersaison, beginnt mal wieder die gefährlichste Zeit am Grand Canyon.
Das 445 Kilometer lange Naturwunder, an dessen westlichem Ende der Grand Canyon Nationalpark liegt, ist seit Menschengedenken ein Magnet für Outdoor-Liebhaber. Annähernd fünf Millionen Besucher zählt der Park jährlich, die meisten werfen bloß einen Blick von der Südkante in die spektakuläre Schlucht. Etwa 40.000 allerdings wagen sich auf die Wanderwege, die von der Kante hinabführen und zu den spektakulärsten auf dem Planeten zählen.
Deutsche sind nach Amerikanern und Kanadiern die zahlenstärkste Gruppe auf diesen Pfaden. Mehr als 20.000 Menschen pro Jahr durchmessen den Canyon außerdem per Boot auf dem wilden Colorado River zwischen dem Glen Dam bei Page und dem Lake Mead nahe Las Vegas.
Vier Liter Wasser pro Tag
Die Grundregeln für eine Canyon-Wanderung sind schlicht und an der Südkante im Park überall angeschlagen: Sonnenschutz-Kleidung, festes Schuhwerk und vier Liter Wasser pro Tag, außerdem sollten eine topografische Karte, reichlich salzhaltige Nahrung und eine Taschenlampe unbedingt dabeisein. Es wird empfohlen, nicht allein zu gehen und jemanden über Ziel und geplante Dauer der Wanderung zu benachrichtigen, damit im Notfall Rettung möglich ist. Dass trotzdem immer wieder Menschen in dieser unbarmherzigen Wildnis stranden und umkommen, beschäftigt die beiden Autoren. "Wir haben dieses Buch als eine Art Epidemiologie der Tragödien geschrieben", sagt Ghiglieri. "Es soll den Leuten sagen: Seht zu, dass euch das nicht passiert!"
Seit den Schürfertagen Mitte des 19. Jahrhunderts sind nach Ghiglieris und Meyers Recherchen fast 700 Menschen in der meilentiefen Schlucht im amerikanischen Südwesten umgekommen. In den allermeisten Fällen, sagt Tom Myers, medizinischer Direktor des Nationalparks und selbst passionierter Wanderer, sind Fehleinschätzungen und mangelndes Wissen schuld. "Unvorhergesehene Umstände können immer eintreten, aber wer gut vorbereitet ist, kann die meist entschärfen."
Myers und Ghiglieri, letzterer besitzt einen Doktortitel in Ökologie und führt seit 30 Jahren Colorado-Wildwasserfahrten, wissen, wovon sie reden - sie sind selbst schon in brenzlige Situationen geraten. Ghighlieri verfing sich mit einem Fuß in einem gekenterten Floß auf dem Colorado und konnte sich erst in letzter Sekunde vor dem Ertrinken retten. Myers war dem Verdursten nah, als ihm auf einer Solowanderung beim Routensuchen das Wasser ausging.
Besucher unterschätzen die Wildnis
2009 ließen neun Wanderer im Grand Canyon ihr Leben, das seit langem tödlichste Jahr, wie Myers sagt. Schuld waren Auszehrung, lebensgefährlicher Wassermangel oder fatale Stürze beim verzweifelten Versuch, eine Abkürzung zum Fluss zu finden.
1996 versuchte Myers vergeblich, einen Zehnjährigen wiederzubeleben, der an einem Julitag gutgelaunt den elf Kilometer langen Pfad zum Fluss hinabgehüpft war und mit einem Hitzschlag tot zusammenbrach - in seiner Aufregung hatte er vergessen, unterwegs zu trinken.
Im Juli 2004 starb die 24-jährige Marathonläuferin Margaret Bradley auf einem Rundlauf durch den Canyon, zu dem sie mit nur zwei Litern Wasser und ohne Karte gestartet war. Ende September 2010 brach ein 30-Jähriger zusammen, der nach einer durchzechten Nacht mit Freunden zu einer drei Kilometer langen Tour zum Fluss aufgebrochen war - er musste auf der Hälfte umkehren und starb 100 Meter vor dem Parkplatz an einem Hitzschlag. "Man unterschätzt die Wildnis und überschätzt die eigenen Fähigkeiten leicht", sagt Myers.
Kein Disneyland im Freien
Der Grand Canyon ist eine feindselige Landschaft mit Temperaturen, die im Sommer auf 45 Grad Celsius im Schatten klettern und im Winter unter den Gefrierpunkt fallen. Sommerliche Monsunregenstürme lösen reißende Springfluten aus, das Gelände abseits der Pfade, von losem Gestein und steilen Klippen durchwirkt, ist eine Herausforderung auch für erfahrene Wanderer.
Ranger im Nationalpark beklagen oft, dass viele Besucher die erbarmungslose Wildnis gern als eine Art Disneyland wahrnehmen. "Leute klettern über Absperrungen und stürzen ab", sagt Michael Ghighlieri. Die größte Risikogruppe seien nicht etwa Alte oder Kinder, sondern junge Männer, die sich zu viel zutrauen.
Die Schlangen, Skorpione und Taranteln dagegen, die die Ängste vieler Canyon-Besucher derart beflügeln, dass Gighlierei und Myers den Viechern in der eben erschienenen zweiten Auflage ihres Buchs ein neues Kapitel gewidmet haben, sind vergleichsweise harmlos. An Schlangenbissen oder Skorpionstacheln ist dort bisher noch niemand gestorben.
"Unsere Kultur ist mit einer erstaunlichen Fehlwahrnehmung geschlagen, wenn es darum geht, womit wir vorsichtig sein sollten, und worum wir uns tatsächlich Sorgen machen", sagt Ghiglieri. Am Grand Canyon kann das tödlich sein. "Vielleicht", schlägt er vor, "sollte man das Wort ,Park' streichen und durch ,Wildnis' ersetzen, damit die Leute nicht das Gefühl einer kontrollierten, abgesicherten Umwelt haben - nicht einmal mit dem gesamten amerikanischen Militärhaushalt könnte man den Grand Canyon idiotensicher machen."
source: spiegel
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