USA wollen gegen Visumsüberzieher vorgehen
WASHINGTON – Sie kommen nachts, schleichen sich unerkannt über die mexikanische Grenze und tauchen auf der amerikanischen Seite unter. Wenn in den USA von illegalen Einwanderern die Rede ist, denken die meisten an ungebetene Eindringlinge, die sich in nächtlichen Geheimaktionen unerlaubt Zutritt zum Süden des Landes verschaffen. Übersehen wird dabei meist die große Gruppe an Ausländern, die völlig legal und mit gültigem Visum eingereist sind. Und die jetzt einfach nicht mehr nach Hause gehen, selbst wenn ihre Aufenthaltserlaubnis längst abgelaufen ist. Schätzungen zufolge sind mindestens 40 Prozent aller Personen, die sich derzeit illegal in Amerika aufhalten, mit gültigen Papieren ins Land gekommen.
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Beratung für illegale Einwanderer in New York:
Die Reform von Barack Obama soll es ihnen
einfacher machen, zum US-Staatsbürger zu werden.
Doch wie soll man die Ausländer ausfindig machen, die die amerikanische Gastfreundschaft überstrapazieren? Die US-Einwanderungsbeamten schlagen sich mit diesem Problem schon sehr lange herum. Ihnen fehlt ein verlässliches System, um diejenigen herauszufischen, die länger bleiben als erlaubt.
Diesem Missstand widmet jetzt der US-Senat seine besondere Aufmerksamkeit. US-Präsident Barack Obama will das Einwanderungsrecht umfassend reformieren und rund elf Millionen Illegalen im Land den Weg zur Staatsbürgerschaft ebnen - und zwar ohne Vorbedingungen.
Bevor diese Gruppe sich um ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht bewerben kann, müsse zuerst ein System eingerichtet werden, mit dem sich besser nachvollziehen lasse, wo diejenigen abgeblieben sind, denen bereits ein Visum erteilt wurde, hält eine Reihe demokratischer und republikanischer Senatoren dagegen. Außerdem müsse zuerst an den US-Grenzen für höhere Sicherheit gesorgt werden.
Entwurf soll bis März vorliegen
Seit den Terrorangriffen vom 11. September 2001 ist es nicht mehr so einfach, in die USA einzureisen. Dafür hat der US-Kongress gesorgt. Wer als Ausländer ins Land will, muss einen umfangreichen Fragekatalog beantworten, Fingerabdrücke abliefern und die Iris abtasten lassen. Um einen Überblick über diejenigen zu erhalten, die das Land auch wieder verlassen, war für die Ausreise an eine ähnliche Erfassung biometrischer Erkennungsmerkmale gedacht gewesen. Aber ihre Umsetzung erwies sich als kostspielig und umständlich. An den Flughäfen fehlte schlichtweg der Platz für derlei Kontrollen. Also unterblieben sie.
Doch im Zuge der Reform der Einwanderungsgesetze sind die Visumsüberzieher wieder auf dem Radar der Gesetzgeber gelandet. „Wir brauchen ein System zur Visa-Rückverfolgung", fordert der republikanische Senator Marco Rubio aus Florida, der der parteiübergreifenden Gruppe von Senatoren angehört. „Wir spüren den Leuten nicht nach, wenn sie gehen. Wir erfassen sie nur, wenn sie hereinkommen." Ein neues Einwanderungsgesetz werde er nur unterstützen, wenn vorher „Durchsetzungsmechanismen eingerichtet wurden", fügte er hinzu.
Die Senatorenriege plant, bis März einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorzulegen und seine Verabschiedung in diesem Frühjahr einzuleiten. Obama hatte bereits angekündigt, im Falle von Verzögerungen notfalls im Alleingang ein eigenes Einwanderungsgesetz vorzulegen. Allerdings verlautete aus dem Weißen Haus, derzeit sei man mit den Fortschritten der Verhandlungen zufrieden.
Nach dem Willen des US-Präsidenten soll es allen Illegalen im Land ermöglicht werden, sich ohne Umschweife um ein Visum als „rechtmäßiger künftiger Einwanderer" zu bewerben. Zuvor würden die Kandidaten lediglich auf mögliche Vorstrafen hin überprüft, müssten biometrische Daten zur Verfügung stellen und natürlich die anfallenden Gebühren zahlen, berichtet eine mit dem Gesetzesvorschlag vertraute Person.
Vier bis fünf Millionen Visumsüberzieher
Nach acht Jahren in den USA qualifizierten sich diese Einwanderer mit vorläufigem Status für die Green Card. Sie könnten sich dann als Ausländer dauerhaft in den USA niederlassen, vorausgesetzt sie hätten Englisch gelernt, sich mit der amerikanischen Geschichte vertraut gemacht und Steuern zurückgezahlt, hieß es. Nach weiteren fünf Jahren stünde ihnen dann die Bewerbung um die Staatsbürgerschaft frei. Die Green Cards könnten auch früher zur Verfügung gestellt werden, wenn es der Regierung gelingt, den Überhang an legalen Anwärtern auf die unbeschränkte Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung abzuarbeiten.
Wie viele Menschen sich ohne gültiges Visum in den USA aufhalten, weiß niemand genau zu beziffern. Meist wird von vier bis fünf Millionen Visumsüberziehern gesprochen. Doch diese Schätzungen basieren auf einer Studie des Pew Hispanic Center aus dem Jahr 2006, die für ihre Hochrechnungen Daten aus den neunziger Jahren herangezogen hatte.
Im Jahr 2011 besuchten 159 Millionen Menschen ohne Einwanderungsabsicht die USA, wie das US-Heimatschutzministerium mitteilte. Mehr als drei Viertel dieser Besuche wurden zum reinen Vergnügen unternommen. Doch es kamen auch Millionen Geschäftsreisende, Zeitarbeiter, Schüler und Studenten ins Land. Haben sie alle Amerika auch wieder den Rücken gekehrt?
Ein Hand voll anderer Länder hätte mittlerweile Systeme eingeführt, mit deren Hilfe sich nachvollziehen lasse, ob Visa überzogen würden, berichtet die überparteiliche Forschungsgruppe Migration Policy Institute, die sich der Einwanderungsproblematik widmet. Besonders Australien gehe dabei sehr effizient vor, findet das Institut. Über jeden Besucher, der seinen Fuß auf australischen Boden setzt, würden Informationen gesammelt und elektronisch aufgezeichnet und dann noch einmal vor Ort kontrolliert, wenn er das Land wieder verlässt. Visumsüberzieher werden gekennzeichnet und bei der Ausreise einer gesonderten Überprüfung unterzogen. Das Forschungsinstitut erwähnt auch Japan mit lobenden Worten. Dort wurde 2007 ein System eingeführt, bei dem Besuchern Fingerabdrücke genommen werden und das sich sowohl auf die Einreise als auch auf die Ausreise erstreckt.
Ursprünglich biometrisches Verfahren geplant
Der US-Senat habe nicht vor, zusätzliche Vollzugsmaßnahmen einzuführen, um Visumsüberzieher aufzuspüren, berichten Senatsreferenten beider Parteien. Trotzdem sei es wichtig, das ganze Ausmaß des Problems zu erkennen. Es werde darüber nachgedacht, die Verfahren für Beschäftigungsnachweise zu verschärfen. Das werde künftige Besucher davon abhalten, sich über Gebühr lange im Land aufzuhalten, hofft man im Senat.
Das US-Heimatschutzministerium ist nach eigenen Angaben gerade dabei, ein System zum Verfolgen von Visa zu entwickeln. Unklar dabei ist, ob dieses System bei den Senatoren Anklang finden wird, die sich mit der Reform der Einwanderungsgesetze beschäftigen.
Das Heimatschutzministerium hatte ursprünglich auf ein biometrisches Verfahren gesetzt. Anhand von Fingerabdrücken und anderen einzigartigen persönlichen Charakteristika hatten die Beamten sicherstellen wollen, dass ein Ausreisender auch wirklich mit der Person identisch ist, die mit einem bestimmten Visum eingereist war. Doch zwischenzeitlich hat sich die Behörde darauf verlegt, Listen von Menschen mit abgelaufenem Visum mit Listen von Ausländern zu vergleichen, die bei ihrer Ausreise die amerikanischen Häfen und Flughäfen passieren. Wer Amerika allerdings auf dem Landweg verlässt, wird nicht erfasst und entgeht den Heimatschützern derzeit noch. Und wie viele Leute mit ungültigem Visum sich illegal in Amerika aufhalten, kann auch das Heimatschutzministerium immer noch nicht sagen. Man arbeite daran und sollte Ende des Jahres so weit sein, genaue Zahlen präsentieren zu können, stellte Heimatschutzministerin Janet Napolitano in der vergangenen Woche bei einer Senatsanhörung in Aussicht.
Erschwerend kommt hinzu, dass einige der Visumsüberzieher zwischenzeitlich Wege gefunden haben, um legal im Land zu bleiben. Sie haben sich eine Anstellung gesichert oder ein Studentenvisum ergattert oder sich erfolgreich um einen Flüchtlingsstatus bemüht. All diese Datensätze sollen jetzt zusammengeführt werden, berichten Beamte, die an diesem Projekt arbeiten.
Ein biometrisches System, das Prozeduren wie das Abnehmen von Fingerabdrücken umschließt, sei „außerordentlich teuer", hatte Napolitano vor dem Senat ausgeführt. Ihr Ministerium hatte in Pilotprogrammen drei mögliche biometrische Grenzkontrollverfahren getestet und keines funktionierte einwandfrei.
Platzprobleme an den Flughäfen
Bei dem ersten Ansatz sollten die Reisenden an der Stelle kontrolliert werden, an der ihnen die Bordkarte ausgehändigt wird. Doch die Fluggesellschaften sperrten sich gegen den Plan. Sie wollten nicht noch mehr Verantwortung aufgehalst bekommen. Außerdem wäre es für die Reisenden einfach, sich an dem Schalter „abzumelden" und dann umgehend den Flughafen zu verlassen, wie den Heimatschutzbeamten alsbald dämmerte.
Die zweite Option sah eine Visumsüberprüfung am Sicherheitskontrollpunkt vor. Doch diese zusätzliche Arbeit lenkte die Sicherheitsbeamten von ihrer Hauptaufgabe ab und verzögerte die Abfertigung, berichten Beamte. Außerdem konnten die Reisenden trotzdem den Flughafen noch verlassen, auch wenn sie die Sicherheitsschleuse schon hinter sich gelassen hatten.
Und die dritte und letzte Möglichkeit, die erwogen wurde, waren Visumskontrollen direkt an oder in den Fluggastbrücken, um die Missetäter noch kurz vor dem Besteigen des Flugzeugs abzufangen. Doch dafür war an den Flugsteigen kaum Platz zu finden, sagt ein hochrangiger Heimatschutzbeamter. Außerdem schreckten die Fluglinien erneut vor der Verantwortung zurück. Das sei schließlich Aufgabe der Regierung, argumentierten sie.
source: wallstreetjournal