Kommerz, Kitsch, Kunst: Ein Plädoyer für die Oscars
Bonjour tristesse. Doch am Vorabend der Oscar-Verleihung schallt Gelächter aus dem Raum. Hundert Leute hocken auf Klappstühlen im Scheinwerferlicht. "Willkommen im vierten Stock des Holiday Inns", ruft ein Conferencier, "wo wir zurecht auf Hollywood herabschauen."
Was ist hier los? Das Ganze wirkt wie eine sehr verspätete Karnevalssitzung. Eine Dame klärt mich auf, voller Enthusiasmus: "Die Razzies!"
Die Razzies sind die Anti-Oscars. Die "goldene Himbeere" (Raspberry) ehrt nicht die besten, sondern die "schlechtesten Errungenschaften im Film". Und diesmal steigt das eben durch Zufall im Frühstückssaal meines Hotels, nur Schritte vom Hollywood Boulevard entfernt, wo schon der rote Oscar-Teppich ausgerollt liegt.
Es ist schnell vorbei. Das Teenie-Vampirdrama "Breaking Dawn - Bis(s) zum Ende der Nacht - Teil 2" räumt ab: schlechtester Film, schlechtester Regisseur, schlechteste Schauspielerin, schlechtester Nebendarsteller, schlechtestes Leinwandpaar, schlechtestes Ensemble, schlechtestes Sequel. Die anderen Himbeeren teilten sich die Haudrauf-Komödie "Der Chaos-Dad", der Science-Fiction-Flop "Battleship" und Popstar Rihanna in selbigem.
Oscar-Spezial 2013
Ob das Dolby (vormals Kodak) Theatre oder der Holiday-Inn-Frühstückssaal, ob "Lincoln" oder "Breaking Dawn": Ist Hollywood nicht nur noch eine herzlose Kommerzmaschine? "Breaking Dawn" kostete fast doppelt so viel wie Steven Spielbergs träges, aber gepriesenes Kostümepos "Lincoln" - und spielte dreieinhalb mal so viel ein. Oscars? Razzies? Who cares?
Auch dieses Jahr sind wieder 2412 Journalisten aus aller Welt hier eingefallen, um einen Filmpreis mit dem gleichen Hype zu feiern wie einen Präsidentschaftswahlkampf. Sie berufen sich dabei auf TV-Quoten, Klickzahlen, das Milliardengeschäft der Kinobranche. Doch was bleibt am Ende? Wir machen Werbung für eine Mega-Industrie, die sich ins Fäustchen lacht.
Ich hassliebe die Oscars.
Die Oscars sind falscher als ein Filmset
Der rote Teppich ist nichts anderes als der dreckige Hollywood Boulevard, abgesperrt und verkleidet. Hunderte Bauarbeiter basteln tagelang an dieser Illusion: Billigläden und eine Shopping Mall verschwinden hinter Vorhängen; Schlaglöcher werden mit Holzplanken geflickt; Samt, Plüsch, Kunsthecken, Scheinwerfer, TV-Kameras und viel Gold täuschen Glamour vor.
Noch in der Nacht zum Montag verschwindet der Spuk dann wieder, und die Obdachlosen kehren zurück. "Die größte Augenwischerei der Geschichte", schimpft mein New Yorker Freund Richard - der trotzdem jedes Jahr zur Oscar-Woche herkommt, um den Trubel zu beäugen.
Die Oscars nehmen sich wichtiger als der Papst
Reporter, die die Oscars covern, müssen eine härtere Aufnahmeprüfung bestehen als das Pressekorps des Weißen Hauses. Erst nach Jahren als Zaungast lässt die Academy of Motion Picture Arts and Sciences (Ampas) einen an den roten Teppich und in den Backstage-Interviewraum, wo man die Stars dann fragen darf, "wen" sie anhaben und ob sie "der Academy" auch richtig dankbar sind.
Wer sich hinter der Bühne in Bereiche verirrt, für die der Barcode seines Oscar-Passes nicht gilt, wird "auf Lebenszeit" verbannt. Auch wer im Interviewraum fotografiert, im Fotoraum interviewt, die Kleidervorschrift missachtet (Smoking/Abendkleid) oder ein Bild seines Passes auf Facebook stellt, zwecks Neideffekt.
Wie bizarr das alles ist, fiel mir am krassesten vor drei Jahren auf. Da flog ich erst nach Haiti, um über das Erdbeben zu berichten - und dann nach Hollywood, um darüber zu schreiben, wie ratsam es war, die Zahl der "Best Picture"-Nominierungen von fünf auf zehn zu erhöhen.
Die Oscars haben wenig mit Können zu tun
Auf dem Papier ehren die Oscars "Exzellenz im Film". Doch die Awards sind oft das Ergebnis erbitterter PR-Kampagnen, bei denen die Studios vor nichts zurückschrecken - Gerüchte, Sticheleien, Schlechtmachen der Konkurrenz.
Apropos Können: Viel Wind gab es diesmal um einen "historischen" Verdienst des Musical-Films "Les Miserables": Da hatten die Schauspieler live gesungen statt wie üblich zu Playback. Darüber können die Stars des Broadways, die das achtmal die Woche hinlegen, nur lachen.
Und doch:
Die Oscars inspirieren
Man muss nur mal einen Film im Goldwyn Theatre sehen, dem Hauskino der Ampas in Beverly Hills, mit digitaler Dual-3D-Projektion und Surround-Sound auf einer fast 20 Meter breiten Leinwand. Dann versteht man erst, wie viel Kunst und Können doch hinter all dem Kommerz steckt - und das Talent, so fest an den Gefühlssaiten zu zupfen, bis sie springen.
Abseits der Medienhypes um Frontrunner und Fashion-Fauxpas öffnet die Ampas ihre Türen auch einer Unzahl unbesungener Helden. Sie ehrt Dokumentarfilmer, Kurzfilmer, Trickfilmer, Auslandsregisseure, Techniker, Maskenbildner, Special-Effects-Zauberer, präsentiert sie einem Publikum, dessen Aufgeschlossenheit dem Surfer-Stereotyp von Los Angeles widerspricht.
Die Oscars fördern globalen Nachwuchs
Die Screenings und Podiumsdiskussionen, die die Ampas in der Oscar-Woche veranstaltet, sind Gratis-Filmseminare - und Sprungbrett für Karrieren. 1993 stotterte sich der Regisseur Ang Lee, mit "Das Hochzeitsbankett" erstmals für einen Auslands-Oscar nominiert, auf der Bühne des Goldwyn Theatres noch hilflos durch die englischen Interview-Fragen. 2001 gewann er den Auslands-Oscar mit "Tiger and Dragon".
2005 wurde Lees "Brokeback Mountain" bester Film. Und dieses Jahr hofft "Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger" auf elf Oscars. "Ich fühle mich nicht mehr als Ausländer", strahlte Lee am Samstag, als er die Auslands-Nominierten begrüßte, darunter den Österreicher Michael Haneke. "Ich mache einfach nur Filme, fertig."
Die Oscars sind viel mehr als Glamour
Auch schnell vergessen: Diese Maschine, die verführt, verzaubert, verstört und verärgert, wird von einem namenlosen Heer weltbester Handwerker angetrieben. Sie schaffen aus Nichts Befindlichkeiten. Was übrigens auch für die Bauarbeiter am roten Teppich gilt: Wer am Tag der Gala diesen 152 Meter langen Laufsteg betritt, wird automatisch mitgerissen - und selbst Zynikern explodiert der Adrenalinpegel.
In dem Sinne: Auch diesmal werden wir wohl wieder schimpfen über den Kommerz, den Kommiss und die Selbstbeweihräucherung der Endlos-Show. Und uns zugleich begeistern lassen von diesem Geschäft, das seine Faszination trotz all der berechtigten Kritik nie eingebüßt hat. Ich hassliebe die Oscars. Source : spiegel
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