Eine Sportbar in Atlanta im Bundesstaat
Georgia. Das Gespräch mit dem Kellner verlief wie folgt:
Er: "Wo kommst du her?"
Ich: "Aus Deutschland."
Er, strahlend: "Das ist cool! Ich auch! Kannst du denn etwas Deutsch?"
Im Verlauf des Gesprächs stellte sich dann heraus, dass der junge Mann deutsche Vorfahren hatte. Die Konversation ist ein Klassiker und dürfte USA-Reisenden wohl vertraut sein: Jeder Amerikaner scheint einen Urgroßvater, einen Großonkel oder einen entfernten Vetter zu haben, der irgendwann aus Deutschland eingewandert ist. Tatsächlich haben etwa ein Viertel aller US-Bürger ihre Wurzeln in Deutschland. Viele Amerikaner waren außerdem schon einmal mit dem Militär in Deutschland stationiert, und wenn nicht sie selbst, dann der Vater, der Bruder, Nachbarn, Highschool-Freunde oder der Fitnesstrainer.
Ich lebe seit sieben Jahren in den USA - und es ist mir genau zweimal passiert, dass ich als Deutsche beschimpft wurde: einmal, weil Deutschland 2003 seine Teilnahme am Irak-Krieg verweigerte, das andere Mal wegen Deutschlands nationalsozialistischer Vergangenheit.
Deutschland ist in den USA so beliebt wie nie zuvor
Insgesamt aber ist das Bild der Deutschen in Amerika durchaus freundlich. Laut einer Umfrage der deutschen Botschaft in Washington ist Deutschland in den USA so beliebt wie nie zuvor. Allerdings sieht nur ein kleiner Teil der amerikanischen Bevölkerung - Studenten, Intellektuelle, Kreative in New York oder San Francisco - Deutschland als modernes und hippes Land, das Land, in dem Berlin liegt, die Hauptstadt alles Coolen. "Berlin ist wie New York in den achtziger Jahren", schreibt die "New York Times".
Doch die Mehrheit der Amerikaner liest nicht die "New York Times", und für die Mehrheit der Amerikaner bedeutet Deutschland noch immer und vor allem: Bier und Bratwurst, Sauerkraut, Schnitzel und Schnaps, Dirndl, Lederhosen und Volksmarch (sic!) - das Klischee vom leutseligen Teutonen hat in den USA unbestrittene Deutungshoheit . Von Atlanta bis San Diego, von Boston bis Seattle - Oktoberfeste erfreuen sich landauf, landab größter Beliebtheit. Es schmerzt mein ostwestfälisches Herz - aber das Deutschland-Bild der meisten Amerikaner ist ohne Zweifel: eine Karikatur in bayerisch Weiß-Blau.
Die Stadt Cincinnati in
Ohio veranstaltet das größte Oktoberfest in den USA - mit 500.000 Besuchern pro Jahr und 95.000 Litern Bierkonsum. Bei den
Gemuetlichkeit Games gibt es so spaßige Wettbewerbe wie Baumstammsägen, Bierfassrollen und Dackel-Derby.
Außer vor deutscher Brau- und Feiertradition haben Amerikaner auch großen Respekt vor deutscher Ingenieurskunst, vor deutschem Design, deutscher Effizienz und deutscher Qualität. Wer in den USA als etabliert und kosmopolitisch daherkommen möchte - Unternehmensberater, Wirtschaftsführer oder Galeristen zum Beispiel - der fährt deutsch: vorzugsweise
Mercedes,
BMW oder für die etwas Fescheren:
Porsche. Unter jüngeren Amerikanern auf der Karriereleiter gilt - zum Entsetzen ihrer deutschen Freunde - der Volkwagen Jetta als durchaus angesagt.
Wer tiefer in die dunkel umflorte deutsche Seele vordringt - Feuilletonisten schlauer Blätter wie dem "New Yorker" zum Beispiel - der bedient sich gerne jener deutschen Lehnwörter, die Gemütszustände und Kulturphänomene beschreiben:
leitmotif, zeitgeist, schadenfreude, fräuleinwunder, angst, wunderkind , wanderlust oder
weltschmerz.
Die USA haben ein großes Herz für alles Deutsche
Die USA haben also ein großes Herz für (fast) alles Deutsche. Als geborene Deutsche und naturalisierte Amerikanerin bin ich allerdings etwas weniger gnädig mit meinen Landsleuten. Denn: Die Deutschen haben in den USA genau den Ruf, den sie selber pflegen - und damit auch verdienen.
Es sind nämlich vor allem deutsche Organisationen, seien es Heimatvereine oder Handelskammern, die stereotype deutsche Bräuche am Leben halten: Spargel-Dinner im Frühjahr, Grünkohlessen im Winter, dazwischen Bierfest, Weinprobe, Liederabend oder Bundesliga-Brotzeit.
Um nicht missverstanden zu werden: Ich mag Bier, Grünkohl, Fußball - und den "Tatort" am Sonntagabend, all die wohligen Rituale des deutschen Alltags. Was mich irritiert ist, wenn sich deutsche Expats, also Auslandsdeutsche in den USA ausgerechnet über jene Klischees beschweren, an denen sie selbst am kräftigsten zimmern.
Mittlerweile habe ich allerdings begriffen, dass es bei all der deutschen Folklore in Wahrheit um Business geht. Denn die Gemeinde der Auslandsdeutschen in Amerika (und wohl auch anderer Expats überall auf der Welt) haben sich mit einem Speckgürtel von Einheimischen umgeben, mit Anwälten, Maklern, Bauunternehmern, Gastronomen und Wirtschaftsförderern. Deutsche Feste werden zu Networking-Events; man vermittelt einander Aufträge, und dabei haben sich Bier und Bratwurst über die Jahre als zuverlässige Marketing-Vehikel und interkulturelles Schmiermittel bewährt.
Im Übrigen - und je länger ich darüber nachdenke - liegt das Deutschland-Bild in den USA sogar voll im Trend, wenn auch unfreiwillig. Denn alles, was irgendwie mit Heimat zu tun hat, boomt derzeit in Deutschland: Schrebergärten erobern die Innenstädte (und heißen dann, weil's besser klingt, "Urban Gardening"), der Mode-Drink Hugo wird nach einem alten Rezept aus
Südtirol gemixt, Heimatkrimis finden rasanten Absatz, und junge Frauen zwischen Elbe und Isar tragen wieder Tracht. Es gibt kaum einen Designer-Laden, von dessen Decke kein Hirschgeweih hängt, der nicht Deko-Kuhglocken oder Tischdecken mit Edelweiß-Print anbietet. Alles ein bisschen ironisch gedreht, aber trotzdem.
Der Kellner in der Sportbar in Atlanta brachte mir schließlich ein großes Hefeweizen in einem kalt beschlagenen Weißbierstutzen. Bestellt hatte ich ein kleines Pils. Aber mittlerweile habe ich kapituliert. Und deshalb: Prost und Cheers - auf die deutsch-amerikanischen Trendsetter! source: Spiegel