Der neue Obama
Zack! Die linke Handfläche des Präsidenten schlägt auf das Rednerpult. Geschafft. Gott schütze die Vereinigten Staaten, hat er noch gerufen, fürs "von Amerika" hat es nicht mehr gereicht. Jetzt ist er durch, hart ist der Blick, ach, war er doch die ganze Zeit. Die Sache ist erledigt, die Rede gehalten. Aus den Boxen dröhnt Bruce Springsteens "We take care of our own" - wir sind da für unsere Leute. Zack!
Barack Obama hat gerade eine sehr kämpferische, mitunter trotzige Rede gehalten auf dem Parteitag seiner Demokraten. Rhetorik als Kraftsport.
Er hat seine Bilanz verteidigt, er hat um mehr Zeit für seine Vorhaben gebuhlt, er hat über seine eigenen Fehler geredet und über die vermeintlichen Schwächen seines Gegners Mitt Romney. Der da sprach, das war nicht mehr der Prediger von 2008. Das war der von der republikanischen Opposition in die Ecke gedrängte Präsident. Der Mann, der nie, wirklich nie so enden möchte wie Vorgänger Jimmy Carter: Aus dem Weißen Haus vertrieben nach nur einer Amtszeit, auf Jahre dem Spott der Gegner ausgesetzt.
Nicht gerade die beste Rede seiner Karriere
Es dauert noch ein paar Augenblicke, bis Obama wieder runterkommt von dieser Kraftnummer; bis er wieder zurückfindet auf die blau beleuchtete Bühne in Charlotte, North Carolina, wo jetzt, eine knappe Stunde vor Mitternacht, der Parteitag der Demokraten mit seinem Höhepunkt gleichzeitig auch endet. Es ist schließlich Tochter Malia, die ihn zurückholt. Sie kommt mit der Familie auf die Bühne, man winkt ein bisschen ins Publikum, sie sagt etwas zum Vater, er antwortet ihr. Und dann grinst er dieses breite Obama-Grinsen, an dem er bei dieser Rede eben sparte. So sieht sie aus, die Erleichterung.
Barack Obama weiß in diesem Moment, dass er für seine Verhältnisse nicht gerade die beste Rede gehalten hat. Doch dass der Parteitag in seinem Sinne verlief, das ist kaum bestreitbar:
- Ehefrau Michelle hielt zur Eröffnung eine starke, emotionale Rede, in der sie die Obama-Garantie gab: "Nach all den Kämpfen, die meinen Mann auf so viele, vorher unvorstellbare Weisen herausgefordert haben, habe ich erkannt, dass es einen nicht verändert, wenn man Präsident ist - sondern dass es enthüllt, wer man ist."
- Ex-Präsident Bill Clinton legte am Mittwoch einen fulminanten Auftritt hin, verteidigte in einer rasenden 48-Minuten-Rede Obamas Bilanz Punkt für Punkt - und demontierte den Rivalen Mitt Romney. Es war der Auftritt eines Teufelskerls, es war die Rede des Parteitags.
- Vize-Präsident Joe Biden gab am Donnerstag den Arbeiterführer, verteidigte in klarer, knapper Sprache die Rettung von General Motors ("Es ging nicht um die Autos, es ging um die Leute, die diese Autos bauen."), feierte wieder und wieder den Tod von Top-Terrorist Osama Bin Laden und beharrte darauf, dass Romney den Qaida-Chef nicht wirklich jagen wollte.
Michelle, Clinton, Biden - sie geben Barack Obama den Rahmen, erklären seine Politik der vergangenen vier Jahre, ordnen sie ein in ein größeres Ganzes. Jeder macht das auf seine Weise. Der Präsident selbst aber muss den Blick in die Zukunft öffnen. Was würde er tun in einer zweiten Amtszeit? Die vergangenen Monate ist er diese Antwort schuldig geblieben. Klar, Rivale Romney wurde vom Team Obama stets als kühler Kapitalist gezeichnet, als Mann ohne Herz - aber für was bitte schön steht der Präsident?
Auf dem Parteitag versucht er zu liefern. Obama verspricht eine Million neue Industriearbeitsplätze; die Öl-Importe sollen bis zum Jahr 2020 halbiert werden; 600.000 Jobs in der Gasförderung sollen im Gegenzug unterstützt werden; 100.000 Mathematik- und Naturwissenschaftslehrer sollen über die nächsten zehn Jahre rekrutiert werden; und das Haushaltsdefizit will er um vier Billionen Dollar innerhalb einer Dekade reduzieren.
Reicht das? Sind das die großen Themen? Nicht wirklich. Visionen? Hat er nicht im Angebot. Obama bleibt im Konkreten recht unkonkret. Über seine Gesundheitsreform - immerhin das zentrale Projekt seiner ersten Amtszeit - spricht er kaum.
Die "Washington Post" kommentiert: "Zeitweise fühlte sich das eher an wie eine Regierungserklärung und nicht wie eine Parteitagsrede." Wie ein Arbeitstier habe Obama geredet, nicht gerade inspirierend. Das sei alles "sehr kräftig im Ton" gewesen, sagt Clintons einstiger Stratege James Carville auf CNN. Und David Gergen, der altgediente Präsidentenberater, meint, Obama wirke "reifer". Das US-Politikmagazin "Politico" titelt: "Downsizing the Dream."
Glücklicher Obama, blasser Romney
Klar ist zumindest: Entschieden kontert der Präsident Romneys Werben um die enttäuschten Wähler von 2008 ("Obama versprach, den Planeten zu heilen - mein Versprechen ist es, euch und euren Familien zu helfen"). Die Zeiten hätten sich geändert, seit er das erste Mal vor diesem Parteitag gesprochen habe, sagt nun Obama: "Und ich habe mich auch verändert." Präsident sei er jetzt, nicht mehr Kandidat. Und: Er sei sich durchaus eigener Fehler bewusst, aber zugleich auch "noch nie hoffnungsvoller für Amerika" gewesen als gerade jetzt.
Obamas Glück, dass Kontrahent Romney auf dem Republikaner-Parteitag in der vergangenen Woche blass blieb. Leidenschaft? Fehlanzeige. An Romneys Rede kann sich schon jetzt kaum noch einer erinnern, stattdessen bleibt der Auftritt des zu einem leeren Stuhl sprechenden Hollywood-Greises Clint Eastwood im Gedächtnis haften.
Heißt: Romney ließ während seiner Krönungsmesse die Chance verstreichen, sich den Amerikanern neu vorzustellen, sich nahbarer, auch menschlicher zu zeigen. Obama dagegen hat in Charlotte seine Story neu aufgelegt. Weniger träumerisch, dafür geerdeter, erfahrener. Die Botschaft: Okay, ich brauche mehr Zeit, aber deshalb könnt ihr das Land doch nicht jenen anvertrauen, die die Sache zuvor verbockt haben. Romney fährt jetzt die riskantere Strategie: Weil er nach wie vor keine Erzählung von sich liefert, muss er darauf setzen, dass die Amerikaner ihn allein deshalb wählen, weil sie von Obama enttäuscht sind - und nicht etwa, weil sie auf Mitt Romney setzen.
So bleibt es dabei: Knappe zwei Monate vor der Wahl liefern sich die Kandidaten ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Die brisante wirtschaftliche Lage des Landes ist weiterhin Thema Nummer eins. Und in wenigen Stunden schon werden die neuesten Arbeitslosenzahlen erwartet.
Möglicherweise entscheidet diese Quote darüber, ob Amerika einen neuen Präsidenten bekommt. Source: spiegel
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