Eine kleine, zierliche Frau öffnet die Tür zu ihrem Hotelzimmer in Paris. Alles an Patricia Cornwell, 55, scheint akkurat: die schmal gezupften Augenbrauen, der gleichmäßig aufgetragene Puder, der Sitz ihres Hosenanzugs. Die erfolgreichste Thriller-Autorin der Welt ist nach Europa gekommen, um für ihren neuesten Kay-Scarpetta-Krimi zu werben, den achtzehnten. „Kommen Sie rein“, mit freundlicher Geste bittet Mrs. Cornwell in ihre Suite; blaue Augen scannen dabei die Reporterin.
BILD am SONNTAG: Warum wachen vor Ihrem Hotelzimmer zwei Bodyguards?
Patricia Cornwell: Seit ich eine gewisse Berühmtheit erlangt habe, bin ich sehr sicherheitsbewusst. Man weiß nie, wer aufkreuzt, um ein Problem zu verursachen. Es gibt Menschen, die wissen, dass ich in der Stadt bin. Es bedarf doch nur einer einzigen instabilen Person, die daherkommt und etwas Schreckliches tut.
Buch der Woche: Patricia Cornwell – „Bastard“ Der junge Mann, der auf dem Obduktionstisch von Dr. Kay Scarpetta landet, weist rätselhafte Blutungen auf. Hat er bei seiner Einlieferung noch gelebt und ist erst im Kühlraum erfroren? Es sind noch mehr Rätsel zu lösen. Unter anderem die Verbindung zwischen dem Toten zu einem Mord an einem Kind, dem beim Spielen fünf Stahlnägel in den Hinterkopf getrieben wurden. Patricia Cornwells achtzehnter Scarpetta-Roman seit 1990 ist wohl ihr persönlichstes Buch. Die Autorin lässt ihre Hauptfigur erstmals seit zehn Jahren wieder aus der Ich-Perspektive erzählen. Und die Forensikerin hat allen Grund, den Menschen, die ihr am nächsten stehen, zu misstrauen. Sogar ihrem eigenen Ehemann . . .
Foto: Hoffmann und Campe
Sie waren Polizei-Reporterin und Pathologin, haben in Ihren früheren Berufen schrecklich zugerichtete Menschen gesehen. Machen solche Erfahrungen stumpf – oder vorsichtig?
Ich bin auf der Hut, aber in vernünftigem Maß. Ich möchte nicht, dass auf meinem Grabstein eines Tages steht: Sie ist einen dummen Tod gestorben. Ich will zum Beispiel nicht sterben, weil ich beim Überqueren einer Straße in die falsche Richtung geschaut habe.
Welche Gefühle löst der Tod in Ihnen aus?
Ich bin ihm oft begegnet. Ich gehöre aber nicht zu denen, die sich auf den Tod freuen, weil sie sich auf das Leben danach freuen.
Sie glauben an ein Leben nach dem Tod?
Ich bin überzeugt davon, dass es mehr gibt als nur das Hier und Jetzt. Ansonsten wäre die Perspektive zu sterben unglaublich deprimierend. Mein Vater wollte nicht einmal eine ordentliche Beerdigung, weil er dachte, wenn sein Körper stirbt, ist alles vorbei. Menschen, die so denken, haben womöglich nie richtig gelebt.
Wie ist Ihre Gemütslage, wenn Sie in Ihren Büchern eine harte Szene aus dem Leichenschauhaus beschreiben?
Intensiv. Wenn Sie etwas fühlen beim Lesen, habe ich es sehr wahrscheinlich beim Schreiben auch gefühlt. Und wenn Kay Scarpetta Angst bekommt, bekommen auch Sie Angst.
Gibt es etwas, wovor Sie sich privat ekeln? Blutflecken?
Ich mag Blutflecken, die sind wie Hieroglyphen. Finden Sie das komisch? Ich kann Ihnen viel erzählen, wenn ich einen Blutfleck sehe: In welchem Winkel das Blut heruntergetropft ist, ob es aus einer Arterie kam oder aus einer Schussverletzung. Was ich gar nicht leiden kann, sind Schlangen, Spinnen und tote Körper, die sich zersetzen. Die Gerüche in Leichenschauhäusern sind der Horror.
Morden Männer anders als Frauen?
Unterm Strich geht es um Power, Kraft. Der ultimative Missbrauch von Kraft besteht darin, jemandem sein Leben zu nehmen. Wenn Männer töten, tun sie grundsätzlich etwas, das mit körperlicher Gewalt zu tun hat. Frauen vergiften eher, was ich übrigens viel grausamer finde.
Die Stars vieler Krimireihen sind Pathologen wie Ihre Kay Scarpetta. Was macht diesen Berufsstand so faszinierend?
Ein guter Pathologe muss mutig und stark sein. Es erfordert Stärke, einen Körper zu untersuchen, mit dem etwas Grausames angestellt wurde. Und im übertragenen Sinne zu hören, was die Toten zu sagen haben. Es sind bewegende Momente, wenn ein Pathologe Familienmitgliedern die schlimmste Nachricht ihres Lebens beibringen muss. Es ist sexy, wenn ein Pathologe seine Arbeit gut macht, er verbreitet ein Gefühl von Sicherheit.
Ab Oktober sollen die Kay-ScarpettaRomane verfilmt werden. Mit Angelina Jolie in der Hauptrolle. Kennen Sie sich?
Wir haben uns vor zwei Jahren bei den Dreharbeiten zu „Salt“ getroffen; ich war beeindruckt. Ich hatte eine Primadonna mit riesiger Entourage erwartet, sie war aber überhaupt nicht so, sondern professionell und sehr interessiert. Ich denke, Angelina wird Kay Scarpetta eine Dimension geben, die wir bisher nicht kannten. Aber erst mal müssen viele Puzzleteilchen zusammenpassen. Alle, die sich zuvor daran versucht haben, meine Romane zu verfilmen, haben versagt.
Welcher Teil Ihres Erfolges verschafft Ihnen die größte Befriedigung?
Dass ich eine Figur erfunden habe, die eine Ikone geworden ist. Scarpetta wird mit Sherlock Holmes und anderen literarischen Figuren verglichen. Damit habe ich niemals gerechnet.
Wie viele Scarpetta-Bücher werden Sie noch schreiben?
So viele, wie ich kann. Wenn ich mit einem Buch fertig bin, denke ich sofort darüber nach, welche Recherchen nötig sind, um das nächste anzufangen. Solange die Menschen Kay Scarpetta wollen, werde ich immer weitermachen.
Womit belohnen Sie sich?
Ich lebe und arbeite gern am oder auf dem Wasser. Ich liebe Plätze mit Aussicht. Sie sind inspirierend und entspannen mich, kosten aber meist viel Geld. Dass ich sie mir trotzdem leisten kann, ist für mich Luxus.
Schauen Sie in Buchhandlungen nach, wie viele Bücher von Ihnen im Regal stehen?
Ich konzentriere mich auf das, was ich mache. Nicht darauf, wer ich bin. Es ist sonst so, als ob man zu oft in den Spiegel schaut.
Wie stark werden Sie von wahren Kriminalfällen inspiriert?
Die Wirklichkeit inspiriert mich; allerdings eher in Form einer ungewöhnlichen Waffe oder einer Technologie.
Wird Kay Scarpetta jemals Mr. Right finden?
Nun, in „Bastard“ ist sie mit einem ehemaligen FBI-Profiler verheiratet. Ich denke, dass er der Richtige für sie ist, obwohl die beiden viele Geheimnisse voreinander bewahren müssen.
Sie haben Mrs. Right längst gefunden und geheiratet. Wann wurde Ihnen klar, dass Sie Frauen lieben?
Ich bin in der Provinz aufgewachsen. Wenn dort zwei unverheiratete Lehrerinnen zusammen lebten, dachten die Leute: Die schrägen Gestalten haben beide nie einen Mann gefunden. Niemand sprach über Homosexualität. Ich war in meinen Zwanzigern, als mir klar wurde, dass ich anders fühle als die meisten anderen und herausfinden muss, wer ich bin. Ehrlichkeit war mir dabei immer am wichtigsten. Es gibt zu viele Menschen, die eine Lüge leben.
Hat das Outing Ihrer Karriere geschadet?
Als meine Homosexualität bekannt wurde, hörte meine Mutter in einer Buchhandlung ein Gespräch mit an. Da sagte eine Kundin zur anderen: Ich kaufe ihre Bücher nicht mehr – darum. Aber: Ich bin dankbar dafür, einer Minderheit anzugehören. Es ist nicht das Schlechteste, wenn man im Leben seine Brüche hat.
Wollten Sie niemals Kinder?
Nicht wirklich; ich kenne meine Grenzen, ich wäre nicht gut als Mutter. Und eine schlechte Mutter zu sein, würde ich mir niemals vergeben.
25 Prozent Ihrer Leser sind Männer. Warum so wenige?
Männer sagen immer zu mir: Meine Frau mag Ihre Bücher. Dann sage ich: Und was ist mit Ihnen? Antwort: Ich habe noch keins gelesen. Darauf ich: Wenn Kay Scarpetta im Flugzeug neben Ihnen säße, würden Sie feststellen, dass sie die interessanteste Person ist, der Sie je begegnet sind! Viele Männer meinen, eine weibliche Hauptdarstellerin in einem Krimi könne keine Frau sein, die sie inspiriert.
Patricia Cornwell dreht den Kopf zum geöffneten Fenster, lauscht nach draußen.
Höre ich da einen Ferrari? Natürlich ist es ein Ferrari, das erkenne ich am Motorengeräusch.
Was fahren Sie für ein Auto?
Im Moment einen Porsche SUV, aber ich habe schon viele Ferrari besessen. Kürzlich habe ich einen Ferrari Supermerca bei einer Auktion gespendet. Dort wurde Geld für amerikanische Kriegsveteranen gesammelt.
So einen Wagen kann man in den USA doch gar nicht ausfahren. Wo bleibt der Spaß?
Ich lebe in Boston, ein schrecklicher Ort, um schöne Autos zu fahren. Schlechte Straßen, Schnee bis ins Frühjahr, aber ich liebe Ferrari. Früher bin ich Mercedes gefahren, aber als die anfingen, ihre Autos in Amerika zu produzieren, habe ich sie nicht mehr gekauft. Die Deutschen bauen tolle Autos; die Amerikaner leider nicht.
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