Boston/Wolfeboro - "Wenn es um Eis geht, ist er sehr konservativ: Mitt mag Vanille-Softeis." Deb Skelley steht mit verspiegelter Sonnenbrille vor "Bailey's Bubbles". Die Eisdiele betreibt sie zusammen mit ihrem Mann seit 20 Jahren. An diesem Morgen bringt sie wie jeden Morgen die Schildchen der frisch angerührten Eissorten an der Tafel an. Der Himmel ist strahlend blau, das Eis schmeckt zuckersüß.
Spätestens seit dem US-Nationalfeiertag ist der Traditionsbetrieb im Ferienörtchen Wolfeboro im Bundesstaat New Hampshire über die Landesgrenzen hinweg bekannt. Der ergraute republikanische Präsidentschaftskandidat ließ sich vor der Eisdiele mit einem Softeis von Journalisten ablichten. Kunde ist er schon lange: "Als Mitt noch Gouverneur von Massachusetts war, kam er oft hierher", sagt Deb.
Wolfeboro, das ist ein 6000-Seelen-Örtchen, in dem die Welt noch in Ordnung zu sein scheint. Es liegt an New Hamphires größtem Süßwassersee, dem Lake Winnepesaukee. Schon Gouverneur John Wentworth schlug hier 1763 seine Zelte auf. Nach der örtlichen Interpretation der Geschichte war er damit Tourismus-Pionier. Heute hat Romney ein Domizil am See.
Wer mit dem historischen Motorboot "Millie B" einen Ausflug bucht, bekommt die dreistöckige Villa mit Bootshaus und Privatstrand aus gebührendem Abstand gezeigt. Vor Ort liegt ein graues Schiff der Küstenwache, Männer mit Feldstechern in der Hand schieben Wache. Auf der Hauptstraße von Wolfeboro fahren die Touristen auf dicken Motorrädern, in großen Autos oder gepflegten Oldtimern umher. Oder sie legen wie Mitt am Anleger in der Wolfeboro Bay an, wo kleine Jachten und Sportboote schaukelnd vertäut liegen.
Gut fürs Geschäft
"Ich habe ihn Freitag das letzte Mal gesehen. Ich dachte, er kommt mit einem 100.000-Dollar-Boot, aber nein, er kam mit einem einfachen Sportboot", sagt Bob Dolengewicz, der seit 15 Jahren an der Marina einen Hot-Dog-Stand betreibt. "Er hat seine Frau an Bord genommen und ist wieder verschwunden." Dolengewicz hat auch Agenten des Secret Service gesichtet. "Die Jungs sind in Form, mit denen würde ich es nicht aufnehmen." So wie der Hot-Dog-Mann oder die Eis-Dame hat fast jeder in Wolfeboro eine Romney-Anekdote auf Lager.
Die Einheimischen sind Romney wohlgesonnen, auch wenn der Ort sicherlich nicht so beschaulich bliebe, würde Romney Chef im Weißen Haus. "Es wird kein Zufluchtsort mehr sein", sagt Eisspezialistin Deb. Aber sie sieht keinen Nachteil darin, dass Romney regelmäßig zum Unabhängigkeitstag im Juli auftaucht. "Dass er hier ist, ist gut für unsere Geschäfte, für unsere Stadt", sagt Deb.
Zwei Autostunden entfernt, in Boston, lässt es sich ebenfalls gut auf Romeys Spuren wandeln: Im Reichenvorort Belmont wohnt Romney mit seiner Frau Ann, wenn er nicht im Urlaub ist. Woodlands heißt die bestens abgeschirmte Anlage. Wer sich hier mit einer Kamera herumtreibt, wird schnell aufgespürt. Ein Van nähert sich, ein Mann springt heraus. "Ich habe einen Anruf bekommen, wir haben Sie auf den Überwachungskameras gesehen." Fotografieren sei verboten.
Ebenfalls Privatgelände ist Romneys früheres Anwesen in der Marsh Street. Es befindet sich in einer typisch amerikanischen Wohngegend - Villen, Vorgärten, Autos und Basketballkörbe vor der Doppelgarage, aber menschenleer. Zur Erkundung eines Stückchens hügeligen Klischee-Amerikas ist die Gegend interessant. Einen Steinwurf entfernt liegt der monumentale Tempel der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage. Der Mormone Romney war dort in den Achtzigern Bischof.
Ein anderer Mensch nach der Uni
Der Weg in die Innenstadt von Boston führt durch Cambridge mit der Harvard Business School (HBS), die Romney Mitte der Siebziger mit der Bestnote "high distinction" abschloss. Die private Elite-Uni erstreckt sich am Stadtrand Bostons in 34 Gebäuden auf einem weitläufigen Areal. Der Zugang ist für Gäste allerdings nur mit Sondergenehmigung möglich. "80 Prozent der Studenten wohnen hier, sie treiben im Athletic Complex Sport, und sie lernen hier", sagt HBS-Pressechef Jim Aisner. "Es ist wie ein Dorf, ein Lebensstil für zwei Jahre. Du bist ein anderer Mensch, wenn du hier raus kommst."
Dass aus Romney ein Topmanager wurde, ist bekannt. Von 1984 bis 1999 leitete er Bain Capital, eine Beteiligungsgesellschaft, die darauf spezialisiert ist, Unternehmen in Schieflage aufzukaufen, zu sanieren und mit Gewinn wieder abzustoßen. Hier wurde Romney reich. Das Unternehmen sitzt im John Hancock Tower, einem verspiegelten Wolkenkratzer.
"The Walking City" - diesen Beinamen hat Boston zu Recht. Die Wege sind kurz, und Fußgänger missachten sogar rote Ampeln. Per pedes geht es weiter durch den ältesten Stadtpark Amerikas, The Boston Common. Über der Anlage prangt die weithin leuchtende Goldkuppel des Massachusetts State House, in dem Gouverneur, Repräsentantenhaus und Senat ihren Sitz haben.
Der Eintritt ist frei, dafür gibt es Sicherheitsvorkehrungen wie am Flughafen: Jacken, Schuhe, Gürtel ablegen und durchleuchten lassen. In der Doric Hall hängt eine Bronzebüste an der Wand, sie zeigt den Namensgeber des Pei-Hochhauses. "Hier sehen wir John Hancock, den ersten freigewählten Gouverneur von Massachusetts", erläutert Tour-Guide Anthony Turner. "Er war der Erste, der am 4. Juli 1776 die Unabhängigkeitserklärung unterzeichnete."
Wahlkampfbüro an der Waterfront
Ein Stockwerk höher befindet sich die Amtssuite des Gouverneurs. Hier begegnen Besucher endlich Mitt Romney: Von einem Gemälde blickt er freundlich herab. In Öl gepinselt leisten ihm seine sechs Vorgänger im Amt Gesellschaft. Fremdenführer Turner referiert, dass Romney als Gouverneur zwischen 2002 und 2007 viel für Massachusetts getan habe - vor allem im Gesundheitswesen.
Sein Reformprojekt Romneycare habe als Vorlage der jüngst vorm Obersten Gerichtshof der USA bestätigten Gesundheitsreform von US-Präsident Obama gedient. "Der Gesetzestext liegt hier auf dem Schreibtisch", sagt Turner, während der derzeitige demokratische Gouverneur Deval Patrick in sein Büro huscht.
Politische Ziele zu erörtern, das soll Touristen aktuell im Wahlkampfbüro Romneys an der Waterfront möglich sein. Es befindet sich in der Commercial Street 585. Von außen deutet an dem geschwungenen Betonklotz nichts darauf hin, dass hier die Fäden der Romney-Kampagne zusammenlaufen - bis auf ein kleines Schildchen mit Romney-Aufdruck in einem Seitenfenster im ersten Stock.
Aber ein Mann am Eingang versichert: "Wenn Sie einen Termin machen, können Sie alle Fragen stellen, die Sie interessieren." Er schiebt einen Flyer rüber, der Romney Hand in Hand mit seiner Frau in der Natur zeigt. Vorher kritzelt er noch schnell eine Telefonnummer darauf: "Rufen Sie da mal an."
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