FLUGEXPERTE ÜBER DIE NOTWASSERUNG
"Das war eine fliegerische Meisterleistung"
Ein Fluss als Landebahn: Was dem A320-Kapitän bei seiner Notwasserung auf dem Hudson River gelungen ist, gilt auch unter Profis als sensationell. Im Interview erklärt Pilot und Sicherheitsexperte Dieter Reisinger, was die Crew richtig gemacht hat - und warum man für solche Fälle kaum trainieren kann.
SPIEGEL ONLINE: Herr Reisinger, der Pilot der Notwasserung im Hudson wird als Held gefeiert - mit Recht?
Dieter Reisinger: Man kann dem Piloten und der gesamten Besatzung nur gratulieren. Das Flugzeug so symmetrisch aufs Wasser zu setzen, dass alle Passagiere lebendig rauskommen - das war eine fliegerische Meisterleistung. Pilot und Crew hatten extrem wenig Zeit. Das Flugzeug war angeblich nur drei Minuten in der Luft, die maximale Flughöhe lag nur bei etwa 1000 Meter.
SPIEGEL ONLINE: Warum hat sich der Pilot zu einer Notwasserung entschlossen, statt den nächsten Flughafen anzusteuern?
Reisinger: New York und das Umfeld sind extrem dicht besiedelt. Es gibt kaum freie Flächen, so dass der Pilot nur auf einer Straße, einem Flughafen oder eben im Wasser landen kann. Erst hat die Crew noch den Flughafen Teterboro in New Jersey angefunkt, ob man dort landen könne - es muss dann eine sehr schwierige Entscheidung für den Kapitän gewesen sein, das Flugzeug aufzugeben.
SPIEGEL ONLINE: Was müssen Piloten bei einer Notlandung auf dem Wasser beachten?
Flug 1549: Erst Wenige Minuten war der A320 in der Luft, als einer der Piloten Vogelschlag meldete - dann begann ein spektakuläres Manöver
Reisinger: Die Schwierigkeit ist, die Höhe richtig einzuschätzen und symmetrisch aufzusetzen, also nicht mit einem Flügel einzufädeln. Es gibt für diesen Notfall natürlich auch für den Piloten Checklisten, aber ich gehe nicht davon aus, dass die Crew die Zeit hatte, diese komplett abzuarbeiten oder gar die Kabine auf die Notwasserung vorzubereiten.
SPIEGEL ONLINE: Was steht auf diesen Listen?
Reisinger: Neben den Besonderheiten des Flugzeugtyps vor allem, dass man dafür sorgen muss, dass in der Kabine kein Überdruck mehr herrscht. Sonst ließen sich die Türen nämlich nicht öffnen. Dann sollte man versuchen, mit einer möglichst niedrigen Geschwindigkeit aufzusetzen und kurz vor der Wasserberührung die Sinkgeschwindigkeit zu reduzieren.
SPIEGEL ONLINE: Der A320 über dem Hudson landete mit erhobener Nase - warum ist das wichtig?
Reisinger: Um zu vermeiden, dass das Flugzeug mit der Nase zuerst eintaucht und dann rapide abgebremst wird. Die Lasten würden dann die zulässigen Maximalwerte dramatisch überschreiten. Die Sitze in der Kabine halten das 16-fache der Schwerebeschleunigung aus. Bei einer Notwasserung besteht die Gefahr, dass sie aus der Verankerung gerissen werden - es gäbe viele Tote. Außerdem stellt der Pilot mit einer erhobenen Nase sicher, dass das Flugzeug nach den Regeln der Aerodynamik möglichst langsam wird und sich die Sinkgeschwindigkeit reduziert. Er will dabei aber auch nicht zu langsam werden, um nicht wegen zu geringen Tempos die Kontrolle zu verlieren.
SPIEGEL ONLINE: Zumindest Wellen waren auf dem Hudson glücklicherweise kein Problem.
Reisinger: Richtig – allerdings gibt es eine Brücke und den Bootsverkehr. Das Gute an den Fähren war für die Passagiere immerhin, dass sie schnell gerettet werden konnten.
SPIEGEL ONLINE: Warum ist es schwierig, die Maschine horizontal zu halten? Das gelingt doch sonst auch.
Reisinger: Am Flughafen hat man die perspektivische Sicht der Landebahn mit dem Horizont. Schwierig wird es, wenn solche gewohnten Bezugspunkte fehlen. Man braucht dann möglichst gute Sicht und ruhigen Wind, um die Flügel parallel zu halten. Wenn es in New York zum Beispiel Turbulenzen und Wirbel gibt zwischen Hochhäusern, kann das die Notlandung erschweren.
SPIEGEL ONLINE: Ist die Landung schwerer bei einem vollgetankten Flugzeug kurz nach dem Start?
Reisinger: Es wird natürlich tiefer ins Wasser eintauchen. Mit einem leichteren Flugzeug kann man außerdem langsamer fliegen, ohne die Kontrolle zu verlieren.
SPIEGEL ONLINE: Sollte denn das Fahrwerk bei einer Notwasserung ein- oder ausgefahren sein?
Reisinger: Nicht ausgefahren. Das Fahrwerk bringt auf dem Wasser nichts, es federt dort den Landestoß nicht ab. Im Gegenteil könnten die Räder das Flugzeug nach vorne kippen und aus dem Gleichgewicht werfen. Chelsey Sullenberger, der Pilot der Maschine in New York, hatte das Fahrwerk eingefahren.
SPIEGEL ONLINE: Wie werden Crewmitglieder auf eine Notwasserung vorbereitet?
Reisinger: Für eine realistische Nachahmung sind die Simulatoren nicht gut genug. Aber man kann das Notverfahren üben, die Zusammenarbeit der Crew und die Vorbereitung des Cockpits. Wir haben einmal im Jahr Kommunikationstrainings, in denen Szenarien wie Rauch in der Kabine, Druckverlust oder Triebwerkausfall durchgespielt werden. Außerdem wird regelmäßig die Handhabung der Ausrüstung für einen Notfall im Wasser trainiert - Leuchtpistole, Spiegel, Notrutsche.
SPIEGEL ONLINE: Was, wenn man auf dem offenen Meer notwassert?
Reisinger: Dort ist es wichtig, parallel zu den Wellen zu landen. Wenn die Notwasserung glückt, gibt es Notsender, die automatisch ein Signal losschicken, so dass man gefunden werden kann. Die Notrutschen an den Eingängen sind als Schlauchboot nutzbar. Darin liegen auch Spiegel bereit – und Marker, um das Wasser einzufärben, damit man besser sichtbar ist.
SPIEGEL ONLINE: Wie trainiert sich ein Pilot, um im Notfall die Ruhe zu bewahren?
Reisinger: Wichtig ist eine lange mentale Vorbereitung. Der Pilot muss sich irgendwann fragen: Was mache ich, wenn ich über dicht besiedeltem Gebiet einen starken Schubverlust oder sogar einen totalen Triebwerkausfall habe? Sullenberger setzt sich beruflich besonders stark mit Flugsicherheit auseinander, bei ihm war diese Vorbereitung vielleicht besser als bei anderen. Für mich beweist der Unfall, dass man schwere Flugunglücke durchaus überleben kann, wenn eine exzellent ausgebildete und besonnene Crew an Bord ist.
source: spiegel
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