Rettungsschwimmer am Miami Beach
"Baywatch" in echt
Der kleine Junge schreit wie am Spieß. Gerade noch planschte er vergnügt in den Wellen. Dann kam er mit seinem Handrücken den mehrere Meter langen Tentakeln einer Portugiesischen Galeere zu nahe. Eine qualvolle Begegnung. Das Nervengift des quallenähnlichen Polypen verursacht sofort höllische Schmerzen.
Dirk kennt das Szenario. Er sprintet mit seiner Erste-Hilfe-Box und einer großen Plastikflasche Wasser von seinem Rettungsturm und pflügt sich durch die kubanische Großfamilie, die hektisch besorgt um den Kleinen herumtanzt. Er reinigt die Wunde mehrfach, allmählich beruhigt sich der Zehnjährige.
Dirk Winkler, 41 Jahre, braungebrannt, durchtrainiert, hatte schon viele Jobs. 1991 wählten ihn deutsche Teenager zum "Bravo Boy des Jahres", fortan verdiente der Leipziger seinen Lebensunterhalt als Fotomodell in München und Paris. Später arbeitete er als Schauspieler und Barkeeper in London und New York, ehe er am Miami Beach in Florida seine Bestimmung fand.
"Das ist mit Abstand der beste Job, den ich je gemacht habe", sagt Winkler, während er unablässig den Strand scannt. "Vier Tage arbeiten, dann drei Tage frei - da bleibt viel Zeit zum Surfen und Kiteboarden." Das große Geld lasse sich damit nicht machen, sagt Winkler, der als Rettungsschwimmer fast 3000 US-Dollar im Monat verdient. "Aber ich werde besser bezahlt als viele Lehrer hier."
Nordseedeko und Weltalldesign
Winkler hat einen Arbeitsplatz, von dem andere nur träumen: einen von Palmen gesäumten, weißen Sandstrand, Wassertemperaturen zwischen 20 und 26 Grad Celsius, Sonnenschein das ganze Jahr. Im Mango's Tropical Cafe am Ocean Drive schwingen luftig bekleidete Latinas und Latinos mit stahlharten Sixpacks schon tagsüber ihre Hüften auf dem Tresen - South Beach ist wahrlich nicht arm an Attraktionen.
Doch die Stelzenhütten der Rettungsschwimmer sind mit Abstand das begehrteste Motiv am Ocean Drive. Vom South Pointe Park an der Südspitze bis hoch zur 85th Street thronen 29 Türme über dem feinpudrigen Korallensand. Die 16 am South Beach sind die schönsten - und sie sind alle verschieden.
Der "Jetty" am South Pointe imitiert einen klassischen Leuchtturm. Mit seinem rot-weißen Ringeldesign könnte er auch an der Nordsee stehen. Der Turm an der 13. Straße mit seinem Stars-and-Stripes-Anstrich dagegen protzt patriotisch wie eine US-Flagge, der Tower an der 16. Straße ist im Flower-Power-Stil gestaltet.
Tagsüber leisten an den Strandhütten bis zu hundert Rettungsschwimmer ihren Dienst ab. Nachts dienen die Türme - inoffiziell versteht sich - als Quartier für Obdachlose oder Treffpunkte für Mondsüchtige und Liebespaare, denen es in der Disco zu laut geworden ist. Schließlich gilt der Ocean Drive als eine der wildesten Partymeilen der USA.
Elvis Rodriguez, 26-jähriger Exil-Kubaner, hat heute Schicht im Turm an der 10. Straße. Die pink-gelbe Strandhütte wirkt wie von einem anderen Stern und erinnert an eine Barbie-Puppenstube. "Der Turm ist der schönste", findet Rodriguez, "die Leute fotografieren ihn ständig."
Einst Olympia, nun Ocean Drive
Life Guard ist in den USA ein richtiger Beruf. Die Rettungsschwimmer unterstehen der Feuerwehr und arbeiten immer an verschiedenen Stellen. "Ich war in Kuba Wasserballspieler", sagt Rodriguez, "da lag es nahe, dass ich wieder am Wasser arbeite." Unter seinen Kollegen gibt es viele einstige Nationalspieler aus Kuba, sogar ein paar Olympioniken sind dabei. "Aber keine Sorge, auch die anderen Life Guards können schwimmen", ergänzt er und lacht.
Die "Miami Beach Ocean Rescue"-Truppe, so der offizielle Titel, hat ihren Ursprung in den zwanziger Jahren. Damals erkannte man erstmals den Nutzen des Strands zur Naherholung. "Die ersten Seeretter kletterten im Norden Floridas noch auf simple Hochstühle, ähnlich denen von Tennisschiedsrichtern", sagt Gerry Falconer, Sprecher der Rettungsmannschaft. "Die Seerettung wanderte dann südwärts, auch nach Miami." Erst 1990 zogen die Guards in Stelzenhütten oder Türme.
Im August 1992 versetzte der Wirbelsturm "Andrew" den Rettern einen herben Schlag: Sämtliche Türme wurden zerstört - und mussten neu aufgebaut werden. Die Stadt wollte, dass auch der Strand mehr künstlerisches Flair versprüht und dem multikulturellen Lifestyle Miamis gerecht wird. So entstanden die kunterbunten Hütten der Lebensretter.
Lektionen am Strand
Gerry ist seit 31 Jahren Strandwächter, 16 Jahre davon arbeitete er in Miami Beach. Rund 450.000 Präventiveingriffe leistet seine Mannschaft pro Jahr. "Das bedeutet, dass wir die Leute rechtzeitig aus dem Wasser holen, wenn wir Portugiesische Galeeren oder gefährliche Strömungen entdecken." Letztes Jahr hätten sie 381 Menschen direkt aus den reißenden rip currents gerettet, so Gerry. Diese entstehen sehr plötzlich und können auch gute Schwimmer schon wenige Meter vom Ufer entfernt in Gefahr bringen.
Mit ein paar Sandhäufchen bildet Gerry die Situation nach: Wenn die Wellen schräg anlanden, bildet der Sand häufig kleine Wälle (auf Englisch rips), die sich dann fast im rechten Winkel zum eigentlichen Strand aufbauen. In diesen Zonen wird die Strömung (current) des Wassers zurück ins Meer manchmal so stark, dass ein direktes Zurückschwimmen unmöglich wird.
Die wenigsten wüssten, dass man die rip currents seitlich, also parallel zur Uferlinie verlassen kann. Und viele übersehen die Warnschilder und gehissten Flaggen, die bei starken Winden signalisieren, wie gefährlich ein Bad im Meer sein kann. Haie gibt es natürlich auch da draußen. Aber die kommen zum Glück nur äußerst selten bedrohlich nah, da gibt es im Norden Floridas häufiger Probleme.
"Wir tragen eine große Verantwortung, oft geht es um Leben und Tod", sagt Rettungsschwimmer Gerry. "Das kann eine enorme psychische Belastung mit sich bringen - aber es ist mein Traumjob!"
Mit der TV-Realität der berühmten Kultserie "Baywatch" hat sein Arbeitsalltag allerdings wenig zu tun. "'Baywatch' hat unseren Bekanntheitsgrad auf jeden Fall mal enorm gesteigert." Aber vieles sei stark überzeichnet. "So viel sex and crime können wir nicht bieten. Wir haben auch nur 20 Prozent Frauenanteil."
source: spiegel
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