Städtetipp Rio de Janeiro
Jubelschrei der Seele
Herr Taubald, wohin schicken Sie jemanden, der zum ersten Mal in Rio ist?In das Künstlerviertel Santa Teresa. An seinen Hügeln lebten einst in prachtvollen Villen die Familien der Kaffeebarone - bis der große Umzug an die Copacabana begann. In den fünfziger Jahren verfiel das Viertel, bis es von Hippies, Künstlern und Aussteigern entdeckt wurde. Europäer verlieben sich schnell in den morbiden Charme dieses noch sehr ursprünglich gebliebenen Viertels. Ein besonders lauschiges Plätzchen ist das kleine Gartenlokal Cafecito.
Was kostet in Rio eine Dosis Koffein?
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Und wo kriegt man den besten Kaffee?
In der 1894 eröffneten Confeitaria Colombo. An einem der kleinen Marmortische fühlt man sich wie in einem Wiener Jugendstil-Kaffeehaus. Statt Wiener Mélange gibt es aber Kaffee aus brasilianischen Bohnen. Der Cappuccino hier ist übrigens selten durchgeschäumt, wie man es aus Europa kennt, sondern wird mit einem dicken Schuss Sahne serviert.
Wahre Worte:
"Cariocas mögen keine roten Ampeln", lautet der Text eines populären Songs. Die Metapher will sagen: Hier gehört die Leichtigkeit des Seins zum Alltag - die Selbstinszenierung allerdings auch. Cariocas - so nennen sich die Einwohner von Rio - sind spontan, der direkte Kontakt zu anderen Menschen ist wichtiger, als pünktlich zu sein oder zuverlässig. Auch Fremde werden offenen Herzens empfangen. Man bleibt gerne für ein Schwätzchen stehen oder trinkt an der Eckkneipe auch tagsüber in lustiger Runde ein Bierchen. Kein Wunder, dass das Wirtschaftsmagazin "Forbes" Rio zur fröhlichsten Stadt der Welt erklärt hat.
Wichtige Worte
Tudo bem? - zwei Wörter für alle Fälle. Sinngemäß übersetzt heißt es "Wie geht's?" Zeigt der Daumen nach oben: alles klar. Tudo bem! heißt aber auch: natürlich, schon recht, na gut, wenn's denn sein muss. Alles ist tudo bem! Der Wagen ist schrottreif, aber wir haben keinen Kratzer abbekommen. Tudo bem. Sie hat nun das Baby gekriegt, und der Vater ist getürmt, tudo bem.
Tudo bem ist die Philosophie des Minimalismus, des Glücks im Unglück, der vitalen Reserve, der Leidensfähigkeit und des Fatalismus. Tudo bem? Kein Brasilianer antwortet darauf etwa: hundsmiserabel, prächtig, bestens oder schlimm! Nein, die Antwort lautet: Tudo bem oder bei den Aufrichtigsten mais ou menos (auf Deutsch: mehr oder weniger). Tudo bem ist ein Seufzer der brasilianischen Seele oder ihr Jubelschrei. Es erspart eine Menge Worte und Energie in dieser Hitze.
Zum Abkühlen ...
... pilgert ganz Rio an den berühmtesten Stadtstrand der Welt: die 3,2 Kilometer lange Copacabana. Mein Lieblingsplatz ist der Anglersteg unter dem Morro do Leme, einem grünen Hügel, der ins Meer ragt. Bei den meisten Rio-Bewohnern ist jedoch der Strand von Ipanema beliebter. Am Posto 9, dem belebtesten Abschnitt, treffen sich viele Studenten, und beim Posto 8 versammelt sich Rios große Schwulen-Gemeinde.
Wo hat man die schönste Aussicht auf die Stadt?
Den besten Panorama-Blick hat man eindeutig von der Aussichtsplattform des 709 Meter hohen Corcovado-Felsens, auf dem die gewaltige Christus-Statue thront: Von hier sieht man die Copacabana, das Zentrum von Rio, seine Nachbarstadt Niterói und die lange Brücke über der Bucht von Guanabara.
Umsonst und doch unbezahlbar:
Im Dezember 2008 begann die Stadt, die jahrzehntelang der Drogenmafia überlassenen Armenviertel, die Favelas, zurückzuerobern. Die Zauberformel bestand aus einem Mix von Urbanisierung und dauerhafter Besetzung durch eine polizeiliche Friedenstruppe, der UPP (Unidade de Polícia Pacificadora). Rio ist 2014 Austragungsort der Fußball-WM und 2016 werden hier die Olympischen Spiele stattfinden - da waren die Politiker endlich gezwungen, etwas zu tun. Seitdem entwickelt sich in vielen Favelas ein reger Tourismus. Die inzwischen ungefährliche Favela Santa Marta in Botafogo zum Beispiel kann man leicht auf eigene Faust erkunden.
Historisch stammt der Begriff Favela von einer Pflanze in Bahia. Sie wuchs auf dem Hügel eines Feldlagers der republikanischen Truppen, die im Krieg von Canudos gegen eine separatistische Sekte eingesetzt wurden. Als sich die nach Rio zurückgekehrten Soldaten an einem Hügel im Zentrum der Stadt niederließen, tauften sie diese Siedlung Morro da Favela.
Welches Verkehrsmittel ist ein Muss?
Eine Fahrt mit Rios letzter alter Straßenbahn. Im Zentrum einsteigen und hinauf nach Santa Teresa. 1949 beschrieben zwei tschechische Reisejournalisten die abenteuerliche Fahrt so: "Wacklige Archen, Museumsschaustücke, die versehentlich noch einmal auf Schienen gestellt wurden und nun durch die Nebenstraßen von Rio rattern. Mitunter ist schwer festzustellen, ob die bonde oder ihre Fracht mehr Lärm macht." Bis heute hat sich daran nicht viel geändert, und man fühlt sich wie auf einer Zeitreise zurück in das vergangene Jahrhundert.
Wo Kunst auf der Straße herumliegt:
Zwischen der Rua Joaquim Silva und Rua Pinto Martins hat der chilenische Künstler Jorge Selarón 215 Stufen einer öffentlichen Treppe mit Fliesen aus aller Welt verziert. Seit 1989 ist er damit beschäftigt, und etwa 150 Länder sind bereits vertreten. Meistens sitzt er - erkennbar an den roten Shorts - auf seiner Treppe und malt gerade wieder eine schwangere Frau. Rund 35.000 Bilder mit immer demselben Motiv hat er schon geschaffen, man kann sie auch in seinem Atelier auf halber Höhe der Treppe kaufen.
Ein beliebtes Mitbringsel:
Havaianas-Badelatschen. Auch in Deutschland kennt man die bunten Flip Flops mit der kleinen Brasilienflagge als Logo. In Rio gibt es sie deutlich günstiger und in tausend Varianten, zum Beispiel in Gelbgrün, den Farben Brasiliens, oder mit wellenförmigem Muster, das an die Strandpromenade der Copacabana erinnert. Zu kaufen sind sie in Havaianas-Shops, aber man bekommt sie auch in Apotheken und Supermärkten.
Das beste Eis der Stadt:
Im Mil Frutas in der Rua J. J. Seabra im Stadtteil Jardim Botânico gibt es Eis in 100 Geschmacksrichtungen. Eine große Kugel kostet 8 Reais (rund 3,50 Euro), drei bekommt man für 20 Reais (rund 9 Euro) - das ist zwar teuer, aber jeden Centavo wert. Unbedingt die Sorte Açaí probieren, eine ganz spezielle Frucht aus dem Amazonas, die natürlich - wie vieles in Brasilien - auch ein Aphrodisiakum ist.
Die beste Churrascaria der Stadt?
In Brasilien gibt es etwa so viele Rinder wie Einwohner, nirgendwo schmeckt das Fleisch besser als hier. In Churrascaria-Lokalen kriegt man so viel Lamm, Rind oder Schwein, wie man will, zum Fixpreis und direkt am Tisch serviert. Kaum sitzt man in so einem Fleischtempel, eilen schon die Kellner mit großen Spießen herbei und trennen mit einem langen Messer saftige Streifen ab. Die besten Läden: das Porcão in Ipanema oder das neue Fogo de Chão in Botafogo.
Und wohin in der Nacht?
Zwischen Santa Teresa und dem Zentrum liegt das ältere Bohème-Viertel Lapa. 200 Meter hinter den Arcos da Lapa, einem Aquädukt von 1723, trifft man auf die Kreuzung Rua Mem de Sá/Rua do Lavradío mit vier netten Eckkneipen. Gute Samba-Livemusik gibt es im angrenzenden Lokal Carioca da Gema.
Geht man die Rua do Lavradío 500 Meter bis zum Ende runter, kommt man zur nächsten Party-Meile mit Rios berühmtestem Sambalokal, dem Rio Scenarium. Während die Bars an vielen Abenden geöffnet sind, beschränkt sich die Straßenparty auf Freitag und Samstag.
Was Rio einzigartig macht, …
... ist die Harmonie der sich über Hügel, Wälder und Strände erstreckenden Landschaft. Nicht umsonst spricht man von der Cidade maravilhosa (auf Deutsch: wundervolle Stadt). Stefan Zweig schrieb nach einem Besuch: "Hier hat die Natur in einer einmaligen Laune von Verschwendung von den Elementen der landschaftlichen Schönheit alles in einen engen Raum zusammengerückt, was sie sonst sparsam auf ganze Länder verteilt und vereinzelt. Es gibt - wer sie einmal gesehen, wird mir nicht widersprechen - keine schönere Stadt auf Erden."
Die Fragen stellte Julia Stanek
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